Die Titelheldin von "Vera" ist real und auch eine Filmfigur. Die römische Schauspielerin Vera Gemma (52) spielt sich im in Venedig zweifach prämierten Film vom Regie-Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel selbst. Am Donnerstag eröffnete "Vera" die Viennale. Das Spannende an der Besetzung ist ein roter Faden, der aus der Fiktion direkt in die italienische Filmgeschichte führt. Vera Gemma steht im Schatten ihres berühmten Vaters Giuliano Gemma (1938–2013), der als Darsteller in Italo-Western bekannt wurde. Sie hadert im Film mit dem Erbe. In einer Szene tauscht sie sich mit Asia Argento (47), Tochter von Regisseur Dario Argento (82), darüber aus, wie man seinen eigenen Weg findet. Beim Abspann ist klar: Vera Gemma hat nun ihre eigene Filmgeschichte geschrieben.
Beim 60. Jubiläum des Wiener Filmfestivals verbeugen sich mehrere Filmschaffende vor berühmten Persönlichkeiten: Claudia Müllers (58) Doku untersucht die Sprengkraft der Sprache von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (76). Viele Wegbegleiterinnen kommen in "Elfriede Jelinek – die Sprache von der Leine lassen" zu Wort. Auch "Jedermann" Lars Eidinger (46) bekommt ein Kino-Denkmal. In "Sein oder nicht sein" von Reiner Holzemer (64) erfährt man, wie er sich Figuren einverleibt.
Thomas von Steinaecker (45) steuert zu den Festspielen die Doku "Radical Dreamer" rund um Werner Herzog (80) bei. Mathieu Amalric (56) widmet sich in "Zorn I" bis "Zorn III" dem New Yorker Musiker John Zorn (69). Mitra Farahani (47) bewegte für "A vendredi, Robinson" Filmemacher Ebrahim Golestan (100) und den unlängst verstorbenen Jean-Luc Godard zur Korrespondenz. Sollten Promis auf den roten Teppichen fehlen, auf der Leinwand sind sie heuer omnipräsent.
Ein würdiges Geburtstagsprogramm
Die Viennale wird heuer 60 und feiert ihr mutiges, wagemutiges, hollywood- und streamingglitzerndes sowie explizit politisches Programm vom 20. Oktober bis zum 1. November in den schönsten Kinos der Stadt. Stars, Stars, Stars: Auch, wenn viele dieser Filme bald im Kino oder im Streaming zu sehen sein werden, herrscht um die großen internationalen Namen wie jedes Jahr ein Griss. Am Programm stehen u. a. James Grays autobiografischer Film "Armageddon Time" mit Anne Hathaway, Darren Aronofskys in Venedig bejubelte Theateradaption "The Whale" mit Brendan Fraser oder Luca Guadagninos Vampir-Romanze "Bones and All" mit Taylor Russell und Timothée Chalamet. Ebenso in Wien zu sehen: Venedig-Gewinnerin Laura Poitras mit ihrer Doku "All The Beauty And The Bloodshed", Alice Diops "Saint Omer" sowie Rebecca Zlotowskis "Les enfants des autres". Beide Regisseurinnen erzählen schmerzhafte Mutterschaftsgeschichten. Und die fantastische Filmemacherin Kelly Reichardt präsentiert mit "Showing Up" ein Künstlerinnenporträt mit Michelle Williams und Sarah Polley stellt ihr für die Oscars gehyptes Drama "Women Talking" mit u. a. Frances McDormand oder Mara Rooney vor. Mia Hansen-Løves neuer Spielfilm "Un beau matin" serviert Direktorin Eva Sangiorgi indes zur Abschlussgala.
Verbeugung vor dem Kino: Die Retrospektive des Filmmuseums zeigt zwölf selten gezeigte Werke der japanischen Ikone Yoshida Kiju. Eine Monografie mit neun Werken ist dem gebürtigen mauretanischen Filmemacher Med Hondo gewidmet, der als "Vater des afrikanischen Kinos" gilt und die 90-jährige Ehren-Oscarpreisträgerin und Comedy-Ikone Elaine May (Bild aus "The Heartbreak Kid") wird mit einer Schiene als Regisseurin gewürdigt. Ebenso im Spezial-Programm vertreten: das Genre des argentinischen Film noir oder der heimische Dokumentarfilm der letzten 50 Jahre. Und all das ist wie immer nur ein kleiner Auszug. Spannend: Die Doku "Brainwashed: Sex-Camera-Power" von Nina Menkes, die darin den männlichen Blick der Kamera in der Filmhistorie untersucht.
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