An diesem Abend hatten die Selfie-Aufpasser besonders viel zu tun. Bei Baz Luhrmanns „Elvis“, der wohl schillerndsten Premiere des diesjährigen Festivals von Cannes, liefen sie im schweißtreibenden Zickzack auf dem roten Teppich hin und her – im aussichtslosen Unterfangen, Handyfotos zu verhindern. Die sind schließlich nach alter Glamouretikette auf den berühmten Stufen, potenziell eigentlich dem Selfie-Hotspot schlechthin, nach wie vor verboten. Und doch war es für viele letztlich einfach zu verlockend, rebellisch das Telefon zu zücken, um diesen unwirklichen Blitzrausch festzuhalten: aus eleganten Abendgarderoben, exzentrischen Outfits, wild durcheinanderrufenden Fotografen und all den Stars dazwischen wie Shakira, Kylie Minogue, Ricky Martin, Casey Affleck, die einfach nur kamen, um die Filmbiografie anzusehen.
Da war das Filmteam, zu dem Regisseur Luhrmann, Elvis-Ex-Frau Priscilla Presley, Hauptdarsteller Austin Butler und Tom Hanks gehörten, noch nicht mal da. Auch der Film selbst, der dann für mehr als zweieinhalb Stunden über die große Leinwand toste, hatte eine schillernde Rauschhaftigkeit, wie er atemlos durch rund 20 Karrierejahre der Rock’n’Roll-Ikone hechelt: von Elvis‘ Entdeckung und den ersten Aufnahmen bei Sun Records bis zu seinen späten Engagements in den Jahren vor seinem Tod in Las Vegas, die ihn ausgebrannt haben. Über den Einfluss schwarzer Bluesmusiker thematisiert der Film die Rassentrennung in den USA und fokussiert aber vor allem auf die Beziehung von Elvis zu seinem windigen Manager Colonel Parker, der zumindest in Luhrmanns Interpretation Presley ausgebrannt und ausgebremst hat. „Ich bin hier der Bösewicht“, sagt Hanks in der Rolle gleich zu Beginn – und spielt ihn so verschlagen und manipulativ, so eindimensional als wäre er der Pinguin aus „Batman“.
Auch Titeldarsteller Austin Butler wird nicht allzu viel schauspielerische Tiefe abverlangt. Der 30-Jährige schürzt meist die hübsche Modelschnute. Die Posen, die damals vor allem, aber nicht nur, die Frauenwelt in hysterische Zustände versetzten, den Hüftschwung, die wirbelnden Arme, all das beherrscht er ziemlich gut – und das reicht hier auch. „Elvis“ ist schließlich ein glitzernd-opulenter Oberflächenreiz, wie ihn so nur Luhrmann inszenieren kann: Der Regisseur von „Moulin Rouge“ schaltet einmal mehr überkandidelt in den Turbo, betreibt einen unglaublichen wie erschöpfenden Pomp an Details und Ausstattung. Mehr ist mehr.
Für Emotionen bleibt da bei allem Drama zwar wenig Zeit, doch in den mitreißenden Auftrittsszenen gibt es immer wieder Gänsehautmomente. Nicht nur, nachdem Elvis beim 1968er-Comeback-Special „If I Can Dream“ gesungen hatte, brandete in Cannes Szenenapplaus auf. Nach dem Abspann und minutenlangen Standing Ovations griff Luhrmann noch zum Mikro und erinnerte sich an die Mitternachtspremiere seines Debüts „Strictly Ballroom“ vor 30 Jahren in Cannes. Sein Leben würde niemals mehr so sein wie zuvor, wurde ihm damals prophezeit. „Und die Person hatte recht – merci beaucoup“, sagte er. „Aber jetzt ist Zeit für Party!“