Seit Ihrem Spielfilmdebüt „Hierankl“ im Jahr 2003 waren Sie immer wieder auf Heimatfilme spezialisiert, die auch das Düstere, Ungemütliche und Dramatische zulassen. Ist das eine Maxime von Ihnen?
Hans Steinbichler: Es ist schon eine Art Maxime, von dem Düsteren der Heimat zu erzählen, weil ich das nun einmal erlebt habe. Ich bin auf einem Dorf in Bayern aufgewachsen, war Ministrant, habe die bäuerliche Gemeinschaft erlebt. Ich war zwar Außenseiter, aber habe alles beobachtet und wahrgenommen. Der Widerspruch zwischen unserem unglaublich schönen Dasein und den Verwerfungen sowie den Dingen, die sich Menschen antun, hat mich interessiert. Die perfekten Landschaften, in denen so ramponierte Seelen unterwegs sind.
"Hannes" erzählt von zwei besten Freunden. Einer hat einen Motorradunfall und liegt danach im Koma, der andere versucht indes dessen Leben weiterzuführen, bis er wieder aufwacht. Der Roman stammt von Rita Falk, deren Eberhofer-Krimis bekannt sind. Wie kam es zu diesem Projekt?
Es war sagenhaft: Ich stand eines Tages vor einem Kino, da kam Rita Falk auf mich zu und sagte, sie hätte meinen Film „Eine unerhörte Frau“ gesehen und wollte mich unbedingt kennenlernen. Und: Wer diesen Film gemacht hat, solle auch „Hannes“ machen. Dann drückte sie mir ihren Roman in die Hand. Ich habe mich bedankt, bin heimgegangen, habe das Buch gelesen und fand sofort, dass ich es verfilmen will.
Was waren Ihre ersten Gedanken?
Es war ein bisschen so, als höre man den Song seines Lebens, als hätte jemand die Jugend wieder angeschaltet und man ist wieder zurück in der Zeit, als wären keine 25 Jahre vergangen.
Wie schwierig ist es, Romane zu verfilmen?
Bei „Hannes“ gab es mehrere Herausforderungen. „Hannes“ ist ein Briefroman. Moritz, der Protagonist, schreibt seinem besten Freund Hannes Briefe an sein Krankenbett. Das bedeutet, dass es wegen dieser Form keine dramatische Struktur gibt. Der Roman ist wundervoll, aber es ist eine Geschichte, die man „in Film“ umsetzen muss. Daher habe ich meinen 15 Jahre jüngeren Cousin gebeten, sich das als Dramaturg und Drehbuchautor anzuschauen. Denn er kommt aus dieser Welt. Die wichtigste Herausforderung für mich war aber, dass Rita Falk diesen Film über ihren persönlichsten Roman so liebt wie das Buch selbst. Und erst als sie mir das nach der ersten Vorführung sagte, war für mich diese Mission erfüllt.
Trotz der Tragik kommt Ihr Film leichtfüßig daher. Wie wichtig war Ihnen Humor dabei?
Da ich oft dramatische Stoffe verfilmt habe, wo einem das Lachen zumeist im Hals stecken bleibt, wollte ich mich einmal dem „Ganzen“ widmen. Das Leben nicht nur in seiner Dramatik, sondern auch in seiner Erlösung zeigen. Ich habe versucht, sehr komische, peinliche, witzige und unglaublich danebene Momente zu finden und zu inszenieren. Ich wollte kein superschweres Depri-Drama, sondern in eine Geschichte, die Trost spendet.
Und es gibt ein Leinwand-Wiedersehen mit Hannelore Elsner in „Hannes“. Der Dreh endete 2018, sie starb im April 2019. Wie war die Arbeit am Set mit ihr?
In meinem Film „Das Blaue vom Himmel“ spielte Hannelore Elsner die Hauptrolle. Ich verehre Hannelore seit dieser Begegnung und habe sie gefragt, ob sie bereit wäre, diese Frau Stemmerle zu spielen – eine einfache Frau, die psychisch verwirrt ist und unter einem Riesentrauma leidet. Und sie hat sofort zugesagt. Hannelores Art, dieses völlig Durchsichtige, Perlende, Rauschhafte, das sie verkörpert, dieses Alles – berührt ungemein. Sie war so lebenshungrig, aber gleichzeitig so filigran. Sie wusste am Set genau, wo ihre Kräfte noch reichen und wo nicht. Es ging dann alles rasend schnell. Wir haben Ende November aufgehört, dann drehte sie diesen „Tatort“, von dort ist sie dann weiter ins Krankenhaus und hat sich einfach hingelegt. Zu sehen, wie diese Frau sich buchstäblich bis zum letzten Tag aufgearbeitet hat, für sich, ihren Sohn, ihre ganze Familie und eben für die Kunst, das hat mich sehr bewegt.
Hat sie den Film oder Teile davon noch gesehen?
Nein, leider gar nicht. Ich finde Hannelore so hinreißend und wundervoll, zum Beispiel diese Tanz-Szene mit dem jungen Moritz. Sie konnte ihre letzten Filmmomente nicht mehr sehen, umso wichtiger ist es, dass das Publikum sie noch einmal erleben darf.
Macht das für Sie einen Unterschied, ob Sie fürs Kino oder fürs Fernsehen arbeiten?
Es macht einen Riesen-Unterschied. Ich habe letztes Jahr für Sky die dritte Staffel „Das Boot“ gedreht. Es ist ein gewaltiger Unterschied, weil Erzählung und Ausdruck jeweils vollkommen anders behandelt werden. Für mich macht es aber genau den Reiz aus, beides zu machen. Von der High-End-Serie „Das Boot“ zu dem Seethaler-Projekt (Anm. Hans Steinbichler drehte gerade in Osttirol) gehen zu dürfen, ist einfach fantastisch. Denn es gibt diese verschiedenen Welten und Tempi: vom Speed und Druck einer Kriegs-Erzählung zur Langsamkeit des Lebens eines Knechts aus den österreichischen Bergen im letzten Jahrhundert ... Das liebe ich an meinem Beruf.