Am vergangenen Wochenende wurde im Wiener Filmcasino einmal mehr die zeitgenössische Genrefilmkunst ausgiebig zelebriert. Die Programmvielfalt reichte von aberwitzigen Sci-Fi-Konzepten hin zu blutrünstigen Mordfantasien. Drei Höhepunkte des heurigen Festivals:
Everything Everywhere All At Once
"Doctor Strange" war gestern. Die Namensvetter Daniel Kwan und Daniel Scheinert („Swiss Army Man“) entführen Zuschauer mit ihrer zweiten gemeinsamen Regiearbeit in ein Multiversum, das deutlich fantasievoller daherkommt, als es Comic-Gigant Marvel jemals wagen würde. Die viel geschätzte Michelle Yeoh begeistert als verbitterte Waschsalon-Besitzerin Evelyn, die schnurstracks zur vermeintlichen Retterin einer von dunklen Mächten bedrohten Parallelwelt erklärt wird. Die aus China stammende Einwanderin wird für ihre Mission durch die Weiten des Multiversums befördert und begegnet dabei unzähligen Alternativversionen ihres Selbst. Pures Überwältigungskino trifft auf eine universelle Familiengeschichte mit stark humanistischem Einschlag: so wundervoll bizarr wie auch warmherzig und philosophisch. Der frühere Kinderstar Ke Huy Quan („Indiana Jones 2“, „Die Goonies“) legt als liebenswerter Ehemann der Protagonistin ein furioses Leinwand-Comeback hin.
Kinostart: 20.05.2022
Dark Glasses
Als Mitbegründer des italienischen Giallo-Films gilt "Suspiria"-Regisseur Dario Argento als wahrer Meister seines Fachs. Nach ein paar weniger geglückten Spätwerken und mehrjähriger Kinoabstinenz besinnt sich die 80-jährige Horror-Legende auf seine Ursprünge. Eine Escortdame (Ilena Pastorelli) gerät ins Visier eines gefährlichen Serienkillers. Als die Frau in Folge eines Unfalls ihr Augenlicht verliert, ist sie auf Hilfe von außen angewiesen. Ein chinesischer Waise will der erblindeten Sexarbeiterin helfen, der schrecklichen Mordserie ein Ende zu bereiten. Der anachronistische Neo-Giallo mag gewiss keine Rückkehr zu alter Topform sein, durchaus aber ein solides Alterswerk mit reichlich Blut und Gore.
Kinostart: 16.06.2022
Mona Lisa and the Blood Moon
Seit Beginn ihrer Karriere ist Ana Lily Amirpour im Genrekino beheimatet. Nach einem persischen Vampir-Western in Schwarz-Weiß-Ästhetik und einer kannibalistischen Post-Apokalypse folgt nun ein vergleichsweise geerdetes Werk. Doch auch im dritten Film der vielversprechenden US-Regisseurin weht ein Hauch Fantastik. "Burning"-Star Jeon Jong-seo verkörpert die 22-jährige Mona Lisa, die mithilfe telekinetischer Kräfte aus der psychiatrischen Klinik ausbricht. Stripperin Bonnie (Kate Hudson) nimmt die unbeholfene junge Frau unter ihre Fittiche, während ihr die Polizei bereits dicht auf den Fersen sitzt. Bonnie missbraucht Mona Lisas dämonische Mächte jedoch für eigene Zwecke, trotz des Widerwillens ihres jungen Sohns. Eine angenehm leichtfüßige Fantasy – gebadet in den grellen Neon-Lichtern der zwielichtigen Straßen von New Orleans.
Kinostart: Herbst 2022
Christian Pogatetz