Rückblickend ist die Skurrilität der Begegnung kaum überbietbar: Den Golden Globe für „Amour“ als bester Auslandsfilm bekam Michael Haneke vor neun Jahren von Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone überreicht; die Gala markierte für Haneke den Beginn eines Preisregens, der bald in einem Oscar-Gewinn gipfeln sollte.
Komisch war die Szene bei den Globes, weil die beiden Action-Stars für ein Brutalkino stehen, dem Haneke ein Werk entgegenhält, das Gewalt „als das zeigt, was sie wirklich ist“, wie er selbst sagt: „das Leiden eines Opfers.“ Dass er in den knappen, eleganten Bildern, die seine Filme kennzeichnen, Grausamkeit kaum je explizit zeigt, wohl aber unerbittlich die Bedingungen ausleuchtet, unter denen Grausamkeit entsteht – Gefühlskälte, Repression, Totalitarismus – trug ihm auch Vorwürfe ein, seine Filme seien „herzlos“, „kalt“, „feindselig gegen das Publikum“.
Österreichs international erfolgreichster Filmemacher (je zwei Goldene Palmen und Golden Globes, ein Oscar, um tatsächlich nur einige zu nennen) indes beharrt: „Ich halte den Zuschauer für fundamental klüger als ihm die meisten Filme zugestehen.“ Nachsatz: „Aber nur, wenn man ihm die Gelegenheit gibt, sein Hirn zu benutzen.“ Solche Gelegenheiten bieten seine Filme mehr als genug: Mit seinem Kinoerstling „Der siebente Kontinent“, der 1989 der Legende nach die Leinwand nur erreichte, weil ihn Auftraggeber ORF als nicht sendefähig erachtete, begann im Alter von 47 die Kinokarriere des bis dahin als TV-Dramaturg tätigen Wieners. Die brachte bisher elf Filme, darunter „Funny Games“, „Code: unbekannt“, „Die Klavierspielerin“, „Caché“, „Das weiße Band“ hervor. Und reiht Haneke mit Antonioni, Bresson, Pasolini, Godard unter Europas größte Filmemacher.
Die „Vergletscherung der Gefühle“, Übertitel seiner ersten drei Filme, kann als künstlerisches Lebensthema des Regisseurs und Autors gelten, der immer wieder das moralische Vakuum des Westens aufgreift – um nicht zu sagen: attackiert. Auch mit dem Mittel kalkulierter Manipulation. Einen „Prediger der Angst“ nannte ihn die New York Times folgerichtig einmal. Wohl auch, weil Haneke seine Stoffe gern als nüchterne Thriller präsentiert.
Horror als Folge der Herzenskälte: Dabei hat Haneke, der auf Fotos wie einer der strengen Heiligen von El Greco aussieht und in der persönlichen Begegnung fast konsternierend umgänglich, ja schalkhaft wirkt, die Gabe, großartige Schauspieler zu Höchstleistungen anzuspornen: Isabelle Huppert, Juliette Binoche, Susanne Lothar, Ulrich Mühe – in seiner formalen Strenge wirkt ihr darstellerischer Reichtum oft noch üppiger. Jean-Louis Trintingant nannte ihn ein „Genie“. Franz Rogowski verriet, man fühle sich am Set „innerhalb seiner rigiden Strukturen ganz frei und glücklich“.
Tatsächlich ist Hanekes Kontrollbedürfnis am Set legendär. Ein Glas Wasser kann da falsch am Tisch stehen. Sein langjährigen Produzenten Michael Katz musste in „Das weiße Band“ so lange ein Feld bepflanzen, bis es als Kulisse taugte. „Ich übersetze seine Ideen in die normale Welt“, so fasste Katz die Herausforderungen der Zusammenarbeit in der Kleinen Zeitung zusammen. Hanekes jüngster Film, „Happy End“, ist fünf Jahre alt. Von einem neuen Projekt ist nichts bekannt.
Ute Baumhackl