Die aussichtsreichsten Kandidatinnen und Kandidaten enttäuschten nicht, sondern zementierten ihre Favoritenrolle für die 94. Oscars ein. Mit der Chance auf zwölf Preise klar voran liegt das bildgewaltige, " im Vorjahr in Venedig uraufgeführte, Westerndrama „The Power of the Dog“ von Netflix, in dem die neuseeländische Altmeisterin Jane Campion („Das Piano“) toxische Männlichkeit und patriarchale Rollenbilder wuchtig und zärtlich zugleich dekonstruiert. Sie ist die erste Frau, die zum zweiten Mal für einen Regie-Oscar nominiert ist und könnte sich diesen als überhaupt erst dritte Filmemacherin nach Kathryn Bigelow ("The Hurt Locker", 2010) und Chloe Zhao ("Nomadland", 2021) abholen.
Neben Chancen für Regie, besten Film, bestes adaptiertes Drehbuch sind gleich vier Schauspielende aus ihrem Netflix-Film auf Oscarkurs: Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle sowie Kodi Smit-McPhee, Jesse Plemons und Kirsten Dunst in Nebenrollen. Letztere sind übrigens auch ein Paar – nicht das einzige in diesem Jahr. Javier Bardem („Being the Ricardos“) und Penélope Cruz („Parallele Mütter“) dürfen am 27. März gemeinsam zittern, ob sie einen Goldbuben mit heim nehmen dürfen. Oder eventuell sogar zwei.
Die Dichte an Stars in den Hauptrollenkategorien ist in diesem Jahr enorm und das Rennen scheint offen. Bei den Frauen matchen sich Kristen Stewart als Lady Di in „Spencer“, Olivia Colman im sensiblen Netflix-Drama „Frau im Dunkeln“, Jessica Chastain im Biopic „The Eyes Of Tammy Faye“ sowie Nicole Kidman für die Amazon-Produktion „Being the Ricardos“. Bei den Herren rittern neben Bardem und Cumberbatch, Will Smith für das Tennis-Biopic „King Richard“, Denzel Washington für „The Tragedy of Macbeth“ und Andrew Garfield für den Netflix-Musicalfilm „Tick, Tick ... Boom!“ um einen Goldbuben.
Erfreulich, divers und mitunter überraschend ist die Auswahl in den Nebenrollen-Kategorien: Junge Talente wie Kodi Smit-McPhee („The Power of the Dog“), Troy Kotsur („Coda“), Jessie Buckley („Frau im Dunkeln“), Ariana DeBose („West Side Story“) sind an der Seite von Judi Dench („Belfast“) oder J. K. Simmons („Being the Ricardos“) nominiert.
Zehn Produktionen – so viele wie zuletzt 2011 – wurden in der Königsklasse bester Film ausgewählt. Und die Zahl lässt Indiefilme wie das von AppleTV+ gekaufte Coming-of-Age-Drama „Coda“ genauso zu wie Thomas Paul Andersons 1970er-Trip „Licorice Pizza“, den japanischen Kritikerliebling „Drive My Car“ von Ryusuke Hamaguchi oder Adam McKays Netflix-Farce „Don’t Look Up“.
Jane Campions Siegeszug am ehesten stoppen können das zehnfach nominierte Wüstenepos „Dune“ von Denis Villeneuve, Steven Spielbergs siebenfach nominierter Musicalfilm „West Side Story“ oder Kenneth Branaghs bislang persönlichster Film: das Nordirlanddrama „Belfast“ mit ebenfalls sieben Nominierungen, das auch als Hommage ans Kino zu lesen ist. In der in Endlosschleife debattierten Frage, ob 2022 das Jahr wird, in dem sich Netflix, Amazon oder AppleTV+ in dieser Kategorie endlich einen Oscar holen, muss man nun sagen: Es war noch nie so wahrscheinlich wie heuer.
Keinen Goldbuben gibt es 2022 für Österreich. Sebastian Meises furioses Liebesdrama „Große Freiheit“ mit einem fantastischen Ensemble rund um Georg Friedrich, Franz Rogowski und Thomas Prenn ist im Rennen um den Auslandsoscar raus, aber noch im Kino zu sehen.
Zuletzt gab es bei den Academy Awards stets klare Sieger und sowohl "Bester Film" als auch "Beste Regie" gingen stets an dieselben Werke: 2018 an "Shape of Water" und Guillermo del Toro, 2019 an "Parasite" und Bong Joon-ho, 2021 an Chloe Zhao und "Nomadland".