Es gibt Regisseurinnen und Regisseure, die viel zu viel mit einem Film wollen: politisch sein, dazu relevant, spannend und historisch einordnend. Ergebnis? Nicht selten bemüht, überfrachtet, fadisierend. Und dann gibt es Filmemacherinnen wie Jasmila Zbanic und Werke wie „Quo Vadis, Aida?“, die einen von der ersten Szene an fesseln, einen bis zum Abspann erzählerisch, visuell und emotional überwältigen und einem, obwohl man den tragischen Ausgang der Geschichte kennt, neue Perspektiven offenbaren. Erzählkino im besten aufregenden Sinne.
Die 46-jährige, vielfach preisgekrönte Regisseurin, Drehbuchautorin und Produzentin rollt in diesem Thriller erstmals fiktional und filmisch die Geschehnisse um den Genozid an mehr als 8000 Bosniaken durch die Armee der Republika Srpska in Srebrenica im Juli 1995 auf: bildgewaltig, hochintelligent, fordernd und mit allen Mitteln der filmischen Kriegsführung. Erst vor wenigen Tagen wurde der Film mit dem Indie Spirit Award ausgezeichnet, gestern Abend mit dem Grand Jury Award beim Movies that Matter Festival.
„Ich habe den Krieg in Bosnien überlebt. An einem Tag hat man alles, und am nächsten existiert fast nichts mehr von dem, was man kennt. Nur weil wir bestimmte Dinge für unvorstellbar halten, heißt das nicht, dass sie nicht geschehen können“, sagt Zbanic. Die österreichische Koproduktion mit der coop99 und dem ORF ist nach der Uraufführung bei den Filmfestspielen in Venedig für den besten fremdsprachigen Film nominiert. Das Rennen in dieser Kategorie gilt als offen. Die Nominierten sind neben „Quo Vadis, Aida?“ „Better Days“ (Derek Tsang), „Kollektiv – Korruption tötet“ (Alexander Nanau), „The Man Who Sold His Skin“ (Kaouther Ben Hania) sowie „Der Rausch“ (Thomas Vinterberg).
Die Lehrerin Aida (furios Jasna Djuricic) steht im Fokus von „Quo Vadis, Aida?“. Sie arbeitet als Übersetzerin in der UN-Schutzzone. Die Tage sind heiß, die Lager voll, die hygienischen Zustände eine Zumutung. Druck und Verzweiflung nehmen zu: draußen in der Kleinstadt und drinnen unter den Blauhelmen. Wie eine Löwin kämpft diese Frau unter der Kriegsführerschaft der Männer ums Überleben: um ihr eigenes und das ihres Mannes und ihrer beiden Söhne. Die stehen noch draußen. Sie ist im Vergleich zu ihren Landsleuten außerhalb des Lagers privilegiert. Als Zeugin, die die Kriegsverbrechen erahnt und Botschaften wider ihre eigene Überzeugung übersetzen muss, ist sie machtlos. Die Figur ist extrem interessant. Sie muss zwischen zwei Welten kooperieren und sich irgendwann eingestehen, keine Heldin sein zu können. Wie bekannt, nehmen die Taten der Armee von Ratko Mladic (Boris Isakovic) binnen weniger Stunden ihren Lauf, während die UN-Soldaten so gut wie tatenlos dabei zusehen. Die Bürokratie dieses Prozesses kritisiert dieser Film aufs Heftigste.
Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: 1000 Leichen des Völkermords von Srebrenica gelten heute noch als vermisst, viele Täter und Kriegsverbrecher sind nicht gefasst, werden glorifiziert, und der Bürgermeister von Srebrenica leugnet den Genozid nach wie vor.
Was das alles für die Frauen bedeutet, deren Männer, Brüder, Väter oder Söhne ermordet wurden, kann man nur erahnen. „Ich will diese Mythen über Nationen und Völker und Kriegsverbrecher zerstören“, berichtet die Filmemacherin in Interviews häufig über ihre Intention. Die Premiere in Bosnien arrangierte sie – ohne VIPs und PolitikerInnen – im Memorial Center von Srebrenica: ausschließlich für junge Menschen aus Bosnien, Serbien und Kroatien. Ein Akt für die Zukunft. Ihre eigene könnte sich heute in L.A., wo sie neuerdings eine Agentur hat, vergolden.
„Sie ist eine der mutigsten und freigeistigsten Menschen, die ich kenne“, sagt Kamerafrau Christine A. Maier, die schon deren Debütfilm „Esmas Geheimnis – Grbavica“ fotografierte, der 2006 mit dem Goldenen Bären in Berlin ausgezeichnet wurde und der bosnischen Filmemacherin ihre erste Oscar-Kandidatur brachte. Zbanic hat die Rollen bewusst konträr besetzt: Als die Bosnierin Aida ist z. B. eine Serbin besetzt, bosnische Schauspieler verkörpern serbische Soldaten.
Viele Massenszenen sind zu sehen: im Lager, beim Abtransport oder der Hinrichtung. „Wir wollten die Masse nicht als Masse im Hintergrund des Geschehens abbilden, sondern jedem Menschen darin ein Gesicht geben“, erzählt Maier. „Die Dreharbeiten waren zunächst nicht nur sehr ungewiss, weil Genehmigungen lange fehlten, sondern auch sehr emotional“, erzählt die Bildgestalterin. Hinzu kamen Außentemperaturen von über 40 Grad und mitunter Panik und Drehpausen angesichts der Erfahrungen der Menschen mit diesem Ereignis.
In Bosnien, wo der Film schon im Kino lief, mutierte er zum Publikums-Hit. „Es gab so viele positive Rückmeldungen“, berichtet Maier. Das Schweigen wurde gebrochen. „Es wird viel geschwiegen in Bosnien.“ Geplanter Kinostart hierzulande: 25. Juni.