Heuer bleibt es viel länger spannend: Coronabedingt werden die Oscars erst am 25. April vergeben. Mit David Finchers Netflix-Film "Mank" ist nicht nur eine Schwarz-Weiß-Hommage an den Glanz des alten Hollywoods am öftesten nominiert - nämlich zehnmal - sondern auch eine Story, die mit dem Mythos rund ums Drehbuch zu "Citizen Kane" aufräumt und den Streit zwischen Herman Jacob Mankiewicz und Orson Welles skizziert. Eigentlich liebt Hollywood solche Filme. A g'mahte Wiesn? Muss nicht sein. Schon bei den Golden Globes ging Finchers "Mank" als großer Favorit ins Rennen und blieb am Ende der Verleihung ungekürt.
Mit jeweils sechs Nominierungen folgen auf "Mank" eine ganze Reihe an Favoritinnen und Favoriten: das Roadmovie "Nomadland", der Netflix-Gerichtsthriller "The Trial of the Chicago 7", das Migrationsdrama "Minari – Wo wir Wurzeln schlagen", das Demenzporträt "The Father", das Amazon-Musikdrama "Sound of Metal" und die Filmbiografie "Judas & The Black Messiah". Ganz schön amerikanisch und dabei ganz schön divers. Es gab schon ärgerliche Nominierungs-Jahrgänge.
Die große Frage vorab lautete: Wie geht es weiter in Jahr eins nach dem Triumph von Bong Joon-ho und seinem Siegeszug mit der Satire "Parasite"? Zur Erinnerung: der südkoreanische Filmemacher setzte sich 2020 als erster in der mehr als 90-jährigen Oscar-Historie mit einem nicht-englischsprachigen Film in der Königsklasse durch. Wie geht die Academy mit #BlackLivesMatter und immer wieder mit #OscarsSoMale um? Beeinflusst die Pandemie die Nominierungen zugunsten der Streamingdienste? Und sind die Oscars seit #MeToo überhaupt noch relevant?
Ein paar Erkenntnisse
Anders als die in Verruf geratene Auslandspresse Hollywoods, die nach vielfacher Kritik am Ende doch ein paar People of Colour, wohlverdient übrigens, mit Schauspielpreisen auszeichnete, ist das Bemühen der Academy um mehr Diversität und mehr weibliche Anteilnahme erkennbar - auch wenn "Mank" und "The Trial of the Chicago Seven" nicht dafür sprechen. Und auch wenn in der Königsklasse "bestes Drama" afroamerikanische Stoffe wie "Ma Rainey's Black Bottom" (Netflix) und "One Night in Miami" (Amazon) fehlen, zeigt sich, dass mit fünf von acht nominierten Filmen das Kino gegenüber den Streamingdiensten in dieser Kategorie die Nase vorne hat. Trotz geschlossener Kinos im Pandemie-Jahr.
Statt wie zuletzt meistens auf die Regisseurinnen zu vergessen, fanden dieses Mal erstmals (!) in 93 Jahren Oscar-Geschichte gleich zwei Frauen ihren Platz auf der fünfköpfigen Nominiertenliste für Beste Regie: Chloe Zhao für ihren vielfach ausgezeichneten Roadtrip "Nomadland" und Emerald Fennell für ihr Rachedrama "Promising Young Woman". Diese Filme sollen, so wie auch "The Father", "Minari", "Judas and the Black Messiah" sowie "Quo Vadis, Aida" demnächst in den Kinos starten.
Bis zur Gleichstellung in puncto Frauen und Diversität wird es noch dauern. Aber: Im Großen und Ganzen verdeutlicht diese Auswahl zumindest das Bestreben. Das betörende Familiendrama "Minari" mit autobiografischen Zügen von Lee Isaac Chung ist eine versöhnliche Migrationsgeschichte, wie sie die USA jetzt brauchen kann. Bei den Globes noch fälschlicherweise als bester fremdsprachiger Film geehrt, ist die wahrhaftige, warmherzige und mit feinstem Humor getränkte Geschichte der Ansiedelung einer koreanischen Familie in den USA nun auf Oscar-Kurs. Und: Auch Steven Yeun ist als bester Hauptdarsteller und Yoon Yeo-jeong als beste Hauptdarstellerin nominiert. Wichtige Signale in der Debatte #OscarsSoWhite.
Und auch das international gefeierte Historien-Biopic "Judas and the Black Messiah" über die "Black Panther Party" ist sechsfach nominiert - in vielen wichtigen Kategorien. Überhaupt war die nominierte Darsteller-Riege noch nie so vielfältig wie in diesem Jahr: In der Kategorie beste weibliche Hauptrolle sind erst zum zweiten Mal in der Oscar-Geschichte zwei schwarze Frauen nominiert: Andra Day für "The United States vs. Billie Holliday" und Viola Davis für "Ma Rainey's Black Bottom", wofür der im August verstorbene Chadwick Boseman ebenso posthum geehrt werden könnte.
Aus österreichischer Sicht gibt es erfreuliche Nachrichten: Die in Venedig uraufgeführte Koproduktion "Quo vadis, Aida?" von Jasmila Žbanić mit der gebürtigen Steirerin Christine A. Maier hinter der Kamera ist weiter im Rennen um den besten nicht fremdsprachigen Film. Darin skizziert die Filmemacherin in eindringlichen Bildern und mit furiosem Cast die letzten Tage vor dem Massaker von Srebrenica, bei dem im Juli 1995 rund 8000 Bosnier ermordet wurden. Žbanić erzählt die Geschichte einer Lehrerin, die zur UN-Übersetzerin wird und im Krieg viele fatale Botschaften überbringen muss, ausgeliefert im Machtspiel der Herren. Ein banger Film. Einer, der aber auch viele Rückschlüsse auf das Heute ziehen lässt.
Die Academy of Motion Pictures, die die Goldbuben vergibt, hat in den vergangenen Jahren bemüht, den Preis vielfältiger zu machen. In mehreren Etappen wurde die Zahl der Mitglieder, die über die Oscars abstimmen, erhöht und um mehr Frauen, mehr Angehörige von Minderheiten und Filmschaffenden aus anderen Ländern als den USA erweitert. Das Frustrierende war aber bisher, dass das wenig daran änderte, dass überwiegend weiße Männer ausgezeichnet wurden. 2020 änderte sich ein wenig, 2021 könnte sich vieles ändern. Hoffentlich.
Ein Ärger bleibt: Dass Eliza Hittmans famoses Abtreibungsdrama "Never Rarely Sometimes Always" in keiner Kategorie gewürdigt wurde, bleibt ein kleiner, handfester Skandal. "Ich habe eine Kopie des Filmes bekommen, aber als Christ, Vater von acht Kindern und 39 Enkeln sowie als Pro-Life-Anhänger habe ich null Interesse daran, einer Frau dabei zuzuschauen, wie sie durchs Land reist, damit jemand ihr ungeborenes Kind ermorden kann", schrieb der Filmemacher Kieth Merrill ("Einsatz auf vier Pfoten") über Hittmans Film auf Instagram. Und auch wenn er das Posting mittlerweile gelöscht hat, bleibt die Frage, wie alt und weiß die Academy trotz aller Bemühungen um mehr Diversität der letzten Jahre ist. Und auch die Frage nach Filmen, die in der Nominierungsliste fehlen ("First Cow", "Kajillionaire", "Palm Springs", "Sorry We Missed You"...) kann wie jedes Jahr abendfüllend sein. Mehrfach.