Unerfüllter Kinderwunsch ist ein Tabuthema. Was war der Ausgangspunkt von „Was wir wollten“, einem Film, in dem ein Paar nach vier gescheiterten In-vitro-Versuchen nach Sardinien fährt, um das hinter sich zu lassen?
ULRIKE KOFLER: Ich habe das Drehbuch gemeinsam mit Sandra Bohle und Marie Kreutzer geschrieben. Es basiert auf der Kurzgeschichte „Der Lauf der Dinge“ von Peter Stamm. Es geht um ein Paar im Urlaub, das unglücklich mit allem ist. Die beiden haben das Gefühl, das Glück ist überall, nur nicht dort, wo sie sind. Der Kinderwunsch ist in der Kurzgeschichte nur subtil erzählt. Wenn man will, kann man es lesen. Zu diesem Thema gibt es auch eine persönliche Komponente.


Wollen Sie uns davon erzählen?
Ich habe das auch erlebt, in anderer Form. Ich habe mit 33 Jahren mein erstes Kind bekommen und wollte einige Jahre später ein zweites und dieser Wunsch hat sich nicht erfüllt. Das hat mich in eine schwere Lebenskrise geworfen und fast an den Rand meiner psychischen Stabilität gebracht. Es ist mir wahnsinnig schwer gefallen, das loszulassen. Und ich habe mich immer wieder gefragt: Warum werde ich fast verrückt deswegen? Dabei ist mir bewusst geworden, dass es ein Tabuthema ist, dass es viele Menschen gibt, die das Gleiche erlebt haben. Und niemand redet darüber. Das war ein großer Motor.


Inwiefern?
Es gibt nichts Schlimmeres als Leid, über das nicht gesprochen wird. 10 bis 20 Prozent aller Paare in Europa bleiben unfreiwillig kinderlos, bei Akademikern ist die Rate noch höher – und trotzdem ist es ein Tabu.


Warum?
Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass wir in einer Zeit leben, in der einem vorgegaukelt wird, dass alles geht und alles machbar ist. Und wenn nicht, kann man es kaufen. Das ist eine neoliberale Haltung, die auch in der Reproduktionstechnik gilt. Die Paare, die es betrifft, haben das Gefühl des persönlichen Scheiterns. Das ist tragisch. Das macht die Leute auch so einsam in ihrem Leid. Für mich ist es ein Film übers Loslassen. Es geht darum, zu verstehen, dass man das Leben nicht kontrollieren kann. Ich hatte auch eine minutiöse Vorstellung von meinem Leben und es ist mir sehr schwergefallen, das über den Haufen zu werfen. Jetzt bin ich sehr glücklich.


Sie haben bislang die Filme von Marie Kreutzer editiert – nun fungierte sie für Sie als Cutterin. Wie kam es zu diesem Rollenwechsel?
Das war eigentlich schon deutlich länger klar, als klar war, dass es den Film überhaupt geben wird. Wir haben eine wahnsinnig schöne, vertrauensvolle Zusammenarbeit und im Schneideraum herrscht immer sehr viel Humor zwischen uns. Das war auch dieses Mal so.
War es für Sie schwierig, als Cutterin loszulassen?
Sehr schwierig. Umso wichtiger ist die Vertrauensbasis, die bei uns gegeben ist.


Es ist Ihr Regiedebüt und Österreichs Oscar-Kandidat. Als Elyas M’Barek engagiert wurde, sprang Netflix auf. Wie kam es dazu?
Wir haben drei Jahre damit verbracht, den Film zu finanzieren. Das war wegen des schweren Themas nicht leicht. Dann glückte es relativ kurzfristig und es war klar, wir müssen im Herbst in Sardinien drehen. Das war ein kleines Zeitfenster. Der vorgesehene Hauptdarsteller konnte nicht, also mussten wir einen neuen suchen. Dann hat ihn meine Casterin Rita Waszilovics vorgeschlagen, das kam uns im ersten Moment absurd vor: uns ihn in dem Film vorzustellen und ihn überhaupt zu fragen. Sie hat seine Agentur kontaktiert und überraschenderweise war er vom Drehbuch total angetan. Wir haben die beiden gecastet. Und er wollte und ich auch. Ich denke, es war weder den Produzenten noch mir klar, dass uns das ein Feld öffnen könnte.


Was bedeutet die Kooperation für den Film und für Sie?
Der Film ist in 30 verschiedene Sprachfassungen übersetzt worden und erreicht dadurch ein Millionenpublikum. Das internationale Echo ist enorm: In 39 Ländern kam er in die Top Ten der Netflix-Charts, in Deutschland auf Platz 3, in Brasilien sogar auf Platz 2. Das ist natürlich sehr schön. Was das genau für mich heißt, weiß ich noch nicht. Ich habe mein nächstes Drehbuch geschrieben und hoffe, dass die Finanzierung nicht wieder so lange dauern wird, damit wäre ich sehr glücklich.

Ulrike Kofler
Ulrike Kofler © Pamela Russmann


Inwieweit muss man den Film bei Netflix aus der Hand geben?
Ich erlebe die Kooperation als sehr gut, sehr professionell und flexibel. Netflix begibt sich mit diesem Thema auch auf ein anderes Terrain. In der Fertigstellung haben sie überhaupt nicht mitgeredet. In der Auswertung gehen sie schon eigene Wege. Es gibt zum Beispiel zwei Trailer, die sich zwar sehr ähnlich sind, aber sie haben den anders gemacht als wir.