Vergiftete Wahrheit
Bewertung: ****
"Spotlight“, „Richard Jewell“ oder „Erin Brokovich“: Geschichten wie diese brauchen die Leinwand, und die Amerikaner lieben diese Storys. Heldinnen und Helden, oftmals Underdogs, die trotz aller Widerstände Skandale aufdecken, die auf wahren Begebenheiten basieren. Filme wie diese laden zur kritischen Innenbeschau ein, bei hollywoodverträglicher Ausleuchtung, versteht sich. „Vergiftete Wahrheit“ („Dark Waters“) ist so ein Fall. Basierend auf einem Artikel von Nathaniel Rich im New-York-Times-Magazin erzählt der düstere Ökothriller unter der Regie von Todd Haynes vom Umweltskandal des Chemiekonzerns DuPont, der jahrzehntelang wissentlich giftige Chemikalien in West Virgina in die Luft blies und in den Ohio River kippte. Durch verseuchten Abwasserschlamm, der auf dem Firmengelände lagerte, gelangte die Chemikalie PFOA zudem in die Grundwasserversorgung. Das kontaminierte Trinkwasser führte zu Krebsfällen in weiten Teilen der Bevölkerung, auch viele Tiere erkrankten. Der Anwalt Robert Bilott klagte den Konzern. 2017 gewann er. Und DuPont musste mehr als 670 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen.
Im Film fängt die Aufdeckerstory so an: Der wütende Bauer Wilbur Tennant (Bill Camp) steht mit Kisten an Beweismaterial in der Kanzlei des soeben erst beförderten Umweltanwalts Bilott (Mark Ruffalo). Irgendetwas stimme mit seiner Viehherde nicht. Er beschuldigt DuPont. Also eine Firma, die Bilott eigentlich vertritt. Der Jurist lässt ihn zunächst rauswerfen, sieht sich das Material später dennoch an, denn der Bauer ist ein Bekannter seiner Oma. Er beginnt mitten in der mit Politik und Wirtschaft verhaberten Kanzlei zu recherchieren, bleibt dran, wühlt sich durch Türme von Akten und wird zu „DuPonts schlimmstem Albtraum“.
Grimmig, hart und schnörkellos zeichnet der Film den Skandal nach und wie dieser systematisch vertuscht wurde. Visuell ist der Film ein Bruch zu Haynes’ ästhetisch aufregenden Arbeiten wie „Dem Himmel so fern“ oder „Carol“. Mark Ruffalo ist brillant: Er schlapft stetig gebückt durch die Meetings, verzieht seine Unterlippe und zittert stressbedingt. Er setzt seine Recherchen trotz Widerständen der Kollegen und seiner Frau (Anne Hathaway in vielen verschiedenen Perücken) fort.
Für „Spotlight“ war Ruffalo schon einmal für einen Oscar nominiert. Für „Vergiftete Wahrheit“ böte sich dieses Mal auch die Krönung an.
Robolove
Bewertung: ***
Die Science-Fiction kommt immer näher. Roboter mit menschlichem Antlitz und Stimmen mit brauchbarer digitaler Intelligenz werden immer perfekter. Doch worin liegt diese Perfektion, wozu ist sie gut? Diesen Fragen geht Maria Arlamovsky in ihrer Doku „Robolove“ nach. Auf den Spuren der Androiden-Forschung begibt sie sich nach Asien und fängt dabei absurd-liebevolle Bilder ein von massenproduzierten Sexpuppen-Körpern, emotionalen Begleitern und avancierten Kommunikationsprototypen. In Japan, Singapur und Südkorea, aber auch kurz in den USA und Spanien, interviewt sie Androiden-Vorkämpfer und fragt nach Sinn und Richtung ihrer Innovationen. Dabei geht es Arlamovsky nicht um Informationsdichte und Meilensteine, sondern um die Fragezeichen. Am Ende bleibt eine Frage übrig: „Was ist menschlich?“ Und das hat dann mit Robotern nicht einmal direkt etwas zu tun.
Fragen Sie Dr. Ruth
Bewertung: ***
Sie ist 92 Jahre alt, 1,45 Meter klein und nimmt sich kein Blatt vor den Mund: Karola Ruth Siegel – besser bekannt als „Dr. Ruth“. 1928 geboren und in Frankfurt aufgewachsen, wird die spätere Sexualtherapeutin als Kind in die Schweiz geschickt, wo sie in einem Waisenhaus die Nazi-Herrschaft überlebte. Berühmt wurde die Tochter orthodoxer Juden in den 1980ern mit legendären TV-Auftritten in den USA. Ob HIV, Erektionsstörungen oder ungewöhnliche Sexpraktiken – für Dr. Ruth gibt es kein Thema, über das sie nicht medienwirksam spricht. Dass es eine andere Seite der gut gelaunten Frau gibt, zeigt Ryan White in seinem Biopic. Berührend sind jene Szenen, in denen die Vielbeschäftigte über den traumatischen Tod ihres Vaters, den Holocaust und die Liebe zu ihren drei verstorbenen Männern spricht.
Eine Frau mit berauschenden Talenten
Bewertung: ****
Als Dolmetscherin im Drogendezernat übersetzt Patience Portefeux die abgehörten Telefonate von großen Bossen und kleinen Kurieren. Als sie das Pflegeheim für ihre Mutter nicht mehr zahlen kann, beschließt sie umzusatteln. Wie gut, dass eine riesige Lieferung Haschisch auf dem Weg ist. Nachdem sie ihre Kollegen und ihren Chef ausgetrickst hat, muss sie das verschollen geglaubte Rauschmittel finden. Schauspielstar Isabelle Huppert („Elle“) fasziniert in dieser fintenreichen, schlagfertigen Verwechslungskomödie von Jean-Paul Salomé. Als Drogendiva darf sie das patriarchale System auf den Kopf stellen sowie die Polizei dank Insiderwissen an der Nase herumführen. Und dabei auch einmal ihre komödiantische Seite zeigen – zu harten Beats. Großes, intelligentes Flunkerkino!
Austria 2 Australia
Bewertung: ***
Mit dem Fahrrad von Österreich nach Australien? Die Oberösterreicher Andreas und Dominik schmieden einen verwegenen Plan: Sie tauschen ihren Alltag gegen ein Nomaden-Dasein auf dem Drahtesel – lassen Beruf, Freunde und Familie für ein Jahr voller Abenteuer hinter sich. Abgesehen von der Passage über das Meer will das Duo 18.000 Kilometer durch 19 Länder radeln. Schlechte Straßen und extreme Wetterbedingungen zehren jedoch zunehmend an den physischen und psychischen Kräften der Hobby-Radfahrer. Nach tausenden Kilometern in den Beinen droht kurz vor dem Ziel die Freundschaft von Andreas und Dominik an den Strapazen zu zerbrechen. Weder die sympathischen Hauptakteure noch beeindruckende Landschaftsaufnahmen können über die konventionelle Machart des Reisevideos hinwegtäuschen. Die Stärke der Doku liegt in der Botschaft: Ferne Länder zu bereisen hilft, Vorurteile und Klischees gegenüber anderen Kulturen abzubauen.
Es ist zu deinem Besten
Bewertung: ***
Arthur (Heiner Lauterbach) ist ein konservativer Wirtschaftsanwalt, Kalle (Jürgen Vogel) ein zu Wutausbrüchen neigender Bauarbeiter und Yus (Hilmi Sözer) ein harmoniebedürftiger Physiotherapeut. Was das ungleiche Trio verbindet: die Abneigung gegenüber ihren potenziellen Schwiegersöhnen. Antonia (Janina Uhse) möchte den linken Weltverbesserer Alex (Jacob Matschenz) heiraten, Luna (Lisa-Marie Koroll) hat sich in den deutlich älteren Aktfotografen Ernesto (Andreas Pietschmann) verliebt und Sophie (Lara Aylin Winkler) schwärmt für Schulschwänzer Andi (Junis Marlon). Um ihren Nachwuchs vor Enttäuschungen zu bewahren, plant das väterliche Triumvirat, die Verehrer ihrer Töchter zu vergraulen. Dass dabei alles schiefgeht, was nur schiefgehen kann entspricht wie die übrige Inszenierung gängigen Genreregeln. Die Feelgood-Komödie lebt von heiteren Verwicklungen, schräger Situationskomik und spielfreudigen Darstellern.
Die Epoche des Menschen
Bewertung: ***
Stehen wir am Beginn eines neuen Erdzeitalters? Haben wir das Anthropozän erreicht? Jene Epoche, in der die größten Veränderungen des Planeten vom Menschen ausgelöst werden? Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Edward Burtynsky waren drei Jahre lang auf sechs Kontinenten unterwegs und haben 43 Drehorte besucht, um den vom Menschen verursachten Transformationsprozess zu dokumentieren. Dazu bereisten die Filmemacher das größte Stahlwerk der Welt in Russland, den berühmten Marmorsteinbruch im italienischen Carrara und Verdunstungsbecken in der chilenischen Atacama-Wüste, wo Lithium gewonnen wird. Das filmische Resultat ist ein bildgewaltiges Kaleidoskop, das die Schaffens- und Zerstörungskraft des Menschen mit all seinen Konsequenzen für die Umwelt deutlich macht. Öko-Aktivist und Schauspieler Hannes Jaenicke steuert dem „Leinwandgemälde des Schreckens“ aus dem Off wissenschaftliche Erkenntnisse bei.