Vielleicht winkt Brad Pitt gerade auf dem roten Teppich ins Leere. Oder Jennifer Lawrence macht einen Handstand. Alles könnte möglich sein. Oder nichts. Denn wenn man in diesem Jahr in Venedig vor dem roten Teppich steht, sieht man, dass man nichts sieht – oder zumindest nicht mehr als eine weiße Wand als Projektionsfläche für eigene Star-Schwärmereien. Beim Blick hinter den Sichtschutz, der die üblichen ekstatisch jubelnden Menschentrauben vor dem Festivalpalast verhindern soll, wären die ganz großen Star-Träume gestern allerdings schnell zerplatzt. Glamour-mäßig wird im Pandemie-Festivaljahrgang schließlich etwas vorsichtiger und kleiner gedacht – und im Fall der Eröffnung der 77. Filmfestspiele in Venedig bedeutete das statt Hollywood- eben italienische Prominenz auf der Leinwand: Alba Rohrwacher, Luigi Lo Cascio, Laura Morante und Giovanna Mezzogiorno sind das unter anderem, die in Daniele Luchettis „Lacci“ mitspielen.

Die erste Szene des Films ist den ersten Eindrücken vom diesjährigen Festival nicht ganz unähnlich. Da wird eine Feier gezeigt, bei der Familie und Freunde auf einer Feier mit viel Spaß springen und herumtanzen – nur der Familienvater Aldo (Lo Cascio) macht ein ernstes Gesicht und wirkt nicht gerade ausgelassen. Während es beim Festival die Corona-Bestimmungen sind, die die Stimmung etwas bremsen, ist es bei Aldo die Affäre mit seiner jüngeren Kollegin Lidia, die er seiner Frau Wanda (Rohrwacher) gesteht. Das feste Fundament, das gemeinsame Leben mit den beiden Kindern wird dadurch zwar heftig erschüttert. Die familiären Bande allerdings bleibt. Und genau diese Familienbindungen untersucht Luchetti nun in seinem kammerspielartigen Beziehungs- und Lebensdrama zwischen Rom und Neapel und mit einem Zeitsprung von rund 30 Jahren.

Die Jury: Österreichs Veronika Franz, Cate Blanchett, Matt Dillon, Ludivine Sagnier und Christian Petzold
Die Jury: Österreichs Veronika Franz, Cate Blanchett, Matt Dillon, Ludivine Sagnier und Christian Petzold © AFP

Was er dabei findet, ist das Gegenteil von lebenslanger Liebe und Zusammenhalt. Um Schuld, Leiden, falsche Loyalität sowie Fragen nach (der Abwesenheit von) Liebe und einem verschenkten Leben schnürt der Regisseur die Geschichte vielmehr mit vergifteten Familienverbindungen zusammen. Den emotionalen Aufruhr, den er mit Hilfe seiner solide aufspielenden Darsteller entfacht, kann er dabei kaum spürbar machen. Ob es am geringeren Sauerstoff unter der Maske liegt, die auch während der Vorführungen getragen werden muss? Am Ende, wenn man den Saal verlässt, schaut man zumindest ein bisschen so wie Aldo anfangs in der Polonaise.

Trotz einer gewissen Ernüchterung nach „Lacci“ muss man sich trotzdem vor Augen führen, was Cate Blanchett betonte. „Es scheint ein miracolo“, sagte die Schauspielerin und diesjährige Jurypräsidentin, als sie im gestreiften Einteiler auf dem Podium der Pressekonferenz saß – ein Wunder, dass in diesen Zeiten das Festival stattfindet. „Ich freue mich sehr, hier zu sein, denn in den vergangenen sechs Monaten habe ich mich nur mit Hühnern und Schweinen unterhalten.“

Der Zusammenhalt und die Unterstützung für die Filmindustrie, die sie dabei auch ansprach, wurde auf dem Lido noch einmal stärker dadurch betont, das sieben Festivalleiter zum Start der Mostra de Cinema zusammenkamen – darunter auch Cannes-Chef Thierry Frémaux und mit Carlo Chatrian die halbe Berlinale-Doppelspitze. Bei der Gala gaben sie eine gemeinsame Erklärung zur derzeitigen Situation ab. „Wir wollen unsere Solidarität mit der Filmindustrie ausdrücken und unser Engagement allen gegenüber, die mit Film zu tun haben“, sagte Venedig-Chef Alberto Barbera dazu. „Wir können diese Krise aber überwinden, wenn wir weiterhin zusammen denken.“

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