David ist frisch aus dem Jugendgefängnis entlassen. Ob sein als Anstaltsministrant gefundener Glaube echt oder gespielt ist, bleibt offen. Klar ist, auf die ehrliche Tour hat es der fesche Mann (grandios: Bartosz Bielenia, 28) schwer. Doch dann wirft ihn der Drehbuch-Gott in ein Missverständnis hinein. Eine gefundene Priesterkutte macht ihn zu Vater Tomasz.
David/Tomasz genießt den Respekt, der ihm als vermeintliche Vertretung des Dorfpfarrers im ultrakatholischen Polen entgegengebracht wird. Ein echter Priester hätte er mit einer Verurteilung wegen Totschlags nie werden können. Als falscher Pfarrer jedoch inspiriert er die Gemeinde auf unkonventionelle Art zu einem anderen Glauben mit einem Gewissen jenseits von Geboten und Moral. Fast könnte die Charade also alles ins Positive wenden. Doch der junge Vater provoziert die Mächtigen im Ort, die die Kirche wie eh und je als ihr willfähriges Sprachrohr benutzen. Als Daniel/Tomasz an das kollektive Trauma eines tödlichen Autounfalls rührt, brechen Wunden wieder auf.
All das ist auch Allegorie auf das von Rechtskonservativen regierte Polen und die Macht der Kirche. „Corpus Christi“ ist ein subversiver Film über die Verlogenheit und Bigotterie einer scheinheiligen Gesellschaft, die, wie auch hierzulande nicht unbekannt, die Schuld nach der Macht eines Menschen bemisst.
Regisseur Jan Komasa landete mit „Bo(z)e Cialo – Corpus Christi“ einen durchschlagenden Erfolg, von der Premiere in Venedig über viele Preise daheim in Polen bis zur Oscar-Nominierung. Psychologisch dicht und spannend inszeniert, mit leichten Zwischentönen im ernst-bedrückenden Setting, erzählt er eine Geschichte, die weit über sich selbst und Polen hinausweist.
Von Marian Wilhelm