„Undine“ ist ein Märchen der deutschen Romantik. War das für Sie entscheidend für die Filmgeschichte?
FRANZ ROGOWSKI: Der Name Undine hat doch Vermutungen zugelassen. Christian Petzold teilt viel mit von seiner Innenwelt, er lässt einen teilhaben an seinen Gedanken zur Geschichte. Der Grad an Realismus bei Petzold ist immer auf der Kippe und das macht seine Filme auch aus. Es geht nicht darum so zu tun, als wären wir echt, sondern in der Künstlichkeit echt zu werden. Die Figuren bei Petzold geistern zwischen Behauptung und Realität. Das sagt er auch immer wieder, dass seine Figuren wie Geister funktionieren, die nirgendwo zu Hause sind und auch die Texte, die sie sagen, gehören ihnen nicht allein.
Sie verkörpern den Industrietaucher Christoph. Wie ist das bei ihm?
ROGOWSKI: Interessant an meiner Figur ist, dass sich dieser Christoph vor allem in Verbindung mit der Undine charakterisiert und weniger für sich alleine steht. Also im besten Sinne ein Liebender, der ab einem gewissen Punkt ohne Undine auch verloren ist.
Wäre die Geschichte eine andere, wenn sich eine Industrietaucherin in eine männliche “Undine” verlieben würde?
ROGOWSKI: Wir hatten so einen Witz mit Undine und Undino, aber ich hatte keine großartigen Fantasien zu einer anderen Geschichte, als die die wir gemacht haben. Ich habe alle meine Ressourcen darauf verwendet, das, was wir vorhatten, mit Leben zu füllen.
Hatte das Thema Geschlechterverhältnis und das Männerbild für die Arbeit mit dieser von einem alten Stoff inspirierten Liebesgeschichte eine Bedeutung?
ROGOWSKI: Wir haben keine Irritationsmomente mit dem Begriff von Männlichkeit gehabt, die meine Figur Christoph hat. Auch in Bezug auf „Undine“ haben wir versucht, das aktuell zu machen, die Figuren am Zahn der Zeit zu schärfen.
Haben Sie den Taucher Christoph auch als Märchenfigur begriffen?
ROGOWSKI: Nein, ich habe gar nicht an eine Märchenfigur gedacht. Für mich ist Christoph ein konkreter Mensch aus Fleisch und Blut. Ich wüsste auch nicht, wie man eine Märchenfigur spielen soll. Es gibt ja auch nicht den Industrietaucher oder den Polizisten Das geht meistens in die Hose, wenn man das versucht.
Der Film spielt mit einem deutlichen Kontrast zwischen der urbanen Stadt und der Wasserwelt draußen in der Natur.
ROGOWSKI: Das Wasser ist in vielerlei Hinsicht aufgeladen - nicht nur in dieser mythologischen Geschichte, sondern auch was Verlangen betrifft und vielleicht eine gewisse Erotik oder auch etwas Unheimliches, was sich einem nicht wirklich erschließt. Das ist auch ein Element, in dem der Mensch nicht wirklich zu Hause ist. Das spielt alles eine Rolle in dem Film. Wasser ist das Element der Undine, dem sich Christoph nur mit schwerem Gerät nähern kann. Und so ist es in der Liebe eben manchmal auch.
Wie hat die Schauspielarbeit unter Wasser funktioniert?
ROGOWSKI: Die praktischen handwerklichen Vorgänge sind erstaunlich hilfreich bei einer Figur. Bei “In den Gängen” habe ich einen Gabelstaplerführerschein gemacht. Bei “Undine” durften wir einen Tauchschein machen und ich hatte dann sogar die Ehre von zwei Industrietauchern in diesen Anzug gesteckt zu werden. Da drinnen zu spielen ist unglaublich. Man fühlt sich so ein bisschen wie auf dem Mond wahrscheinlich, schwerelos, vom Wasser vollkommen abgetrennt. Man wird ja überhaupt nicht nass.
Wie sind Sie mit diesen reduzierten Möglichkeiten an die Szenen herangegangen?
ROGOWSKI: Bei den Tauchgängen waren wir relativ allein, weil ja die Regie über Land war. Um Emotionen zu spielen, hat man dann eigentlich nur noch die Atmung, also diese Blubberblasen, und die Augen. Das heißt, man kann nur noch durch die Geschwindigkeit der Atmung und durch die Bewegung der Augen Emotionen zeigen. Das finde ich eine gute Art zu spielen, oft stärker als der Versuch wirklich selber etwas Adäquates zu spüren. Und da waren diese reduzierten Möglichkeiten der Motor und eigentlich auch eine Befreiung.
„Undine” ist auch sehr deutlich ein Berlin-Film. Wie erleben Sie die schnellen Veränderungen in Berlin, die ja auch im Film Thema sind?
ROGOWSKI: Berlin hat sehr viel an Potenzial privatisiert, wo man dann nachher in den städtebaulichen Maßnahmen erkennt, dass die Dinge eben aus der Hand gegeben werden und dann so gestaltet werden, dass darin nicht mehr viel Gemeinschaft oder Gesellschaft praktiziert wird, sondern sich eben vor allem Kapitalismus manifestiert.
Sie waren vor Kurzem auch in Terrence Malicks Jägerstätter-Film “A Hidden Life” zu sehen. Wie war das im Vergleich zu der Arbeit mit Christian Petzold?
ROGOWSKI: Was die beiden Regisseure verbindet, ist, dass sie einen sehr emotionalen und vertrauensvollen Umgang mit dem Schauspielern anstreben. Jeder Regisseur ist aber dann doch recht eigen in seinem Umgang mit dem Material. Terrence Malick dreht sehr viel Stimmungsmaterial, sehr viel Atmosphärisches. Christian Petzold dreht sehr viel auf Text basierende Beziehungskonstellationen.
Was steht bei Ihnen als nächstes am Programm?
ROGOWSKI: Ich war bei zwei österreichischen Produktionen mit dabei. Eine ist schon abgedreht und wird gerade geschnitten, “Die große Freiheit” von Sebastian Meise. Die andere mit Peter Brunner drehen wir gerade. Arbeitstitel: “Die gespaltene Zunge”.
Marian Wilhelm