Eigentlich sollte es sein Moment sein. Der iranische Regisseur Mohammed Rassulof hat einen politischen Film über die Todesstrafe in seinem Land gedreht. "Es gibt kein Böses" heißt das Episodendrama, das bei der Berlinale den Goldenen Bären gewinnt. Als Jurypräsident Jeremy Irons die Entscheidung verkündet, fehlt Rassulof jedoch: Er darf den Iran derzeit nicht verlassen.

Stattdessen nimmt seine Tochter Baran, die in Deutschland lebt, die Auszeichnung entgegen. Sie sei überwältigt und glücklich und gleichzeitig sehr traurig. "Denn dieser Preis ist für einen Filmemacher, der heute nicht hier sein kann", sagt sie in Berlin. "Dieser Preis ist für ihn."

Rassulof gehört wie sein Kollege Jafar Panahi ("Taxi Teheran") zu den Filmemachern, die in ihrer Heimat immer wieder Probleme haben. Beide waren nach Protesten gegen die Präsidentschaftswahlen 2009 verurteilt worden. Derzeit steht eine neue Strafe im Raum. Rassulofs Reisepass wurde ihm abgenommen, er sitzt aber nicht im Gefängnis. Nach Berlin wird er am Samstagabend über das Handy zugeschaltet.

Nachts werden die Hinrichtungen vollzogen

Mohammed Rassulofs "Es gibt kein Böses" ("Sheytan vojud nadarad"), eine deutsch-tschechisch-iranische Koproduktion, erzählt nicht eine, sondern vier kurze Geschichten. Zunächst begleitet man einen liebevollen Familienvater dabei, wie er sich um seine alte Mutter sorgt. Er erscheint als durchschnittlicher Zeitgenosse. Doch dann stellt sich heraus: Seine Arbeit ist es, nachts im Gefängnis - per Knopfdruck - Hinrichtungen zu vollziehen.

Wie in dieser ersten Episode sind in allen die Grenzen zwischen Gut und Böse fließend. Dabei geht es aber immer um eine Frage: Entscheiden sich Menschen - unter oft extremen Bedingungen - für oder gegen das Gute? Beispielsweise ein junger Wehrdienstleistender, der ein Todesurteil vollstrecken soll. Darf er eine andere Person bezahlen, damit die an seiner Stelle die Schuld auf sich nimmt?

Der Film sei gleichzeitig "sanft und verheerend", sagte der diesjährige Jurypräsident und Oscar-Preisträger Jeremy Irons. Der Augenblick, in dem ein Fuchs davoneile, ein Auto auf der Straße liegenbleibe, ein Mann seiner Frau die Haare färbe: Vier Geschichten, die zeigten, welches Netz autoritäre Regime zwischen Menschen weben würden, um sie zur Unmenschlichkeit zu zwingen. "Ein Film, der Fragen über unsere Verantwortung und Entscheidung im Leben stellt."

Seit Jahrzehnten herrschen im Iran zwischen Filmemachern und Behörden große Spannungen. Drehbücher müssen im Kultusministerium abgenommen werden. Auch nach Ende der Dreharbeiten muss die Aufführung des Films genehmigt werden. Manche Szenen etwa zwischen Mann und Frau, die hierzulande gängig wären, sind nicht erlaubt.

Das Filmteam mit dem Bären
Das Filmteam mit dem Bären © (c) AP (Michael Sohn)

Auch Rassulof dürfte offiziell eigentlich nicht drehen, er schafft es mit Unterstützung seines Teams aber trotzdem. Details dazu will das Filmteam in Berlin nicht verraten. Dem "Tagesspiegel" sagte Rassulof, sie hätten vier Produktionen von vier Regisseuren angemeldet. Bei Kurzfilmen schaue die Zensur nicht so genau hin.

Die Situation iranischer Filmemacher ist auf der Berlinale immer wieder Thema. Das Festival hatte zum Beispiel 2011 mit einem besonderen Moment an Jafar Panahi erinnert: Weil der seinen Platz in der Jury nicht einnehmen konnte, blieb der Stuhl leer. Mit seinem heimlich gedrehten Film "Taxi Teheran" gewann er 2015 trotzdem den Goldenen Bären - ebenfalls in Abwesenheit.

Mit der Entscheidung setzt die Jury auch ein Signal - denn die Berlinale gilt ohnehin als sehr politisches Festival. Das scheint auch unter dem neuen Führungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian so zu sein. Die Auszeichnung ist der dritte Goldene Bär für den Film eines Regisseurs aus dem Iran. Verglichen mit anderen Wettbewerbs-Beiträgen fällt "Es gibt kein Böses" künstlerisch zwar nicht so sehr auf. Aber manchmal zählt eben mehr als das.