Sandra Wollner hat heuer zwar nicht die Chance, mit "The Trouble With Being Born" einen Goldenen Bären bei der Berlinale zu gewinnen, eine goldene Bären-Plakette hingegen schon: Die gebürtige Steirerin ist in der frisch eingeführten Sektion "Encounters" des neuen Berlinale-Führungsduos vertreten, in der eine Jury einen Preis für den Besten Film, die Beste Regie und einen Spezialpreis vergibt.

Kurz vor der Weltpremiere ihres Sci-Fi-Familienessays über einen Androiden, der - je nach Programmierung - als emotionales Gefäß seiner menschlichen Gegenüber fungiert, sprach Wollner mit der APA über die Vorteile der Virtualität, ihren speziellen Blick und die Frage, ob sie zukunftsskeptisch ist.

Sie sind gleich mit Ihrem Abschlussfilm in einer Wettbewerbsschiene der Berlinale vertreten. Sind Sie der Wettkampftyp?

SANDRA WOLLNER: Ich bin eigentlich so gar kein kompetitiver Typ. Aber ich bin ganz begeistert von der neuen "Encounter"-Reihe, auch wenn noch niemand so ganz genau weiß, was sie konkret bedeutet. Da bekommt man ein unglaublich breites Angebot an Kinoschaffen geboten, insofern ist es toll, dass wir da dabei sind.

Wie bei Ihrem Erstling "Das unmögliche Bild" schauen Sie auch bei "The Trouble With Being Born" mit einer eigenen Perspektive auf Beziehungs- und Familienkonstellationen...

SANDRA WOLLNER: Ich hatte das selbst nicht im Blick, nachdem es sich bei "The Trouble With Being Born" ja nicht um Realbeziehungen handelt. Dafür sind die Figuren in meinen Augen zu wenig haptisch. Meine Protagonisten sind realer in ihrer Erinnerung als in ihrem Sein. Ich sähe den Zusammenhang eher in der Frage der Erinnerung. Offensichtlich musste ich mich nochmals an dem identitätsstiftenden Narrativ als Erinnerung abarbeiten. (lacht)

Und zugleich ist Ihr Zugang wieder sehr eigen, hatten Sie damals doch auf vermeintliche Privatvideos zurückgegriffen, und nun setzen Sie auf einen Androiden als Vehikel zur Psyche der Menschen...

SANDRA WOLLNER: Ich versuche nie, etwas speziell originell oder anders zu machen. Für mich war die Perspektive das Entscheidende: Wer sieht zu? Bei "Das unmögliche Bild" ging es um die Selbstwerdung eines Ichs, in "The Trouble With Being Born" um die Auflösung eines Ichs. Insofern beginnt mein neuer Film vielleicht da, wo der andere aufgehört hat.

Sie erzählen Ihren Film, für den Sie auch das Drehbuch mitverfasst haben, sehr zentrale über die visuelle Ebene. Wie sehr haben Sie diese genauen Kadrierungen im Script vorgegeben?

SANDRA WOLLNER: Von Beginn einer Arbeit an sind bei mir konkrete Bilder vorhanden. Mir ist aber auch immer wichtig, beim Dreh selbst Momenten Raum zu lassen, die gerade erst entstehen. Wenn das Team klein genug ist, kann man in jede Richtung laufen.

Man kann "The Trouble With Being Born" als technikskeptische Dystopie lesen. Wie sehen Sie selbst die Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz?

SANDRA WOLLNER: Ich denke, diese Entwicklungen der KI können eine Bereicherung sein. Ich finde es unfassbar spannend, wie neuronale Netzwerke funktionieren. Unsere zunehmende Virtualisierung wirft uns eher auf unser Sein als Geisterwesen zurück - etwas, das wir immer gewesen sind.

Die KI birgt für Sie also eher Möglichkeiten denn Risiken?

SANDRA WOLLNER: Natürlich werden auch Fragen von Isolation und die Einsamkeit des Menschen an sich aufgeworfen. Das ist aber etwas, das letztlich immer vorhanden war beim Menschen, der in seinem Körper gefangen ist. So kann auch der Androide immer nur ein Monolog für sein Gegenüber sein, von dem er schließlich programmiert wurde. Aber wie sehr sind alle Gespräche, die wir als Menschen führen, nicht immer nur das Widerspiegeln unserer Innerlichkeit? Wann gehen wir wirklich in den Austausch?

Welches Projekt steht nach der Berlinale für Sie an?

SANDRA WOLLNER: Ich entwickle gerade einen neuen Stoff, möchte mir dafür aber auch Zeit lassen. Nach der Klausur der vergangenen Monate möchte ich dafür ein bisschen rausgehen in die Welt. Und ich bin beteiligt an der Serie "Schnee", die in Wien produziert wird. Da ist angedacht, dass ich mit Barbara Albert für die erste Staffel die Co-Regie mache.

Lena Watson in "The Trouble With Being Born"
Lena Watson in "The Trouble With Being Born" © Panama Film

Filmkritik

Bereits mit ihrem Erstling, "Das unmögliche Bild", hatte Sandra Wollner vor drei Jahren in ungewohnter Manier Familienkonstellationen mittels vermeintlicher Privataufnahmen analysiert. Und auch bei ihrem zweiten Spielfilm, der Sci-Fi-Dystopie "The Trouble With Being Born", überrascht die Regisseurin mit frischem Blick. Dabei rittert sie um den Sieg in der neuen Berlinale-Sektion "Encounters" mit.

Diese wurde vom neuen Festivalduo Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek als spartenübergreifende Wettbewerbsschiene eingeführt, die ästhetisch und strukturell wagemutigen Arbeiten ein Forum bieten soll. In diesen Kreis passt die 1983 geborene Steirerin mit ihrem Abschlussfilm an der Filmakademie Ludwigsburg hervorragend.

Im Zentrum der Geschichte steht ein kindlicher, weiblicher Androide namens Elli (Lena Watson), der für den Menschen Georg (Dominik Warta), bei dem sie lebt, gleichsam als Gefäß seiner Wünsche und Begierden dient. Das vermeintliche Mädchen nennt ihn Papa, fungiert zugleich aber auch als Sexroboter. Sie ist ein Surrogat für seine verschwundene Tochter, eine Rekonstruktion seiner emotionalen Erinnerungen, ein Sexspielzeug und vermeintlich menschliches Gegenüber und doch nur ein Mittel zum Zweck der eigenen emotionalen Bedürfnisbefriedigung.

Zur Filmmitte bricht das Geschehen, und Elli gelangt zu einer alten Dame (Ingrid Burkhard), die als Kind ihren Bruder nach einem Streit bei einem Unfall verlor. Während der erste Strang im Stile französischer Vorbilder nahezu den Sommer ausdampft, ist der zweite nüchtern, farbarm gehalten. In der Gemeindebauatmosphäre wird aus Elli Emil, die Maschine hat einen neuen Nutzer, die Programmierung wird angepasst, auch wenn die Schaltkreise nicht so nahtlos umzufunktionieren sind, wie der Mensch das gerne hätte.

Wollner verlässt sich bei ihrem im mittlerweile ungewohnten 4:3-Format gehaltenen Werk auf die starken Bilder ihres Kameramanns Tim Kröger. "The Trouble With Being Born" ist somit ein hochästhetischer Film geworden - allerdings nicht im Sinne einer Ästhetisierung des eigentlichen Sujets, sondern im Sinne eines ästhetischen Blicks auf das Geschehen. Wollner hält die Präsenz der Kamera stets im Bewusstsein der Zuschauer, spielt mit vermeintlich subjektiver Perspektive, die sich als ihr Gegenteil entpuppt. Sprache kommt bei dem von der Regisseurin mit Roderick Warich gemeinsam verfassten Drehbuch selten zum Einsatz, dann aber als gezieltes Kondensat, als Erweiterung der Bildebene um eine weitere Schicht, nicht als Dopplung des Sichtbaren.

Und so stellt Wollner ihrem Publikum Fragen ohne Worte, die von der moralischen Perspektive, ob man mit einem Roboter pädophile Handlungen setzen kann, über die Bedeutung von Emotion bis hin zum Realwert von Erinnerungen reichen. Wollner bleibt hier dezent, setzt Irritationen, hält vieles offen. Zugleich gelingt ihr mit ihrem Filmessay - eine österreichisch-deutsche Koproduktion -, die Zuschauer auf dasselbe philosophische Glatteis wie ihre Protagonisten zu führen, legt doch auch der Kinogeher Bedeutung in eine Figur, welche diese nicht hat. Ein leiser Film im ruhige Gestus, der eine Regisseurin mit hohem Anspruch in der Filmlandschaft positioniert.