Er hat genug, kann und will nicht mehr, und doch hat er noch den Finger am Auslöser: Der amerikanische Kriegsfotograf W. Eugene Smith, der Anfang der 70er Jahre mit seinen Bildern mithalf, das japanische Chemieunternehmen Chisso vor Gericht zu bringen. Damit beschäftigt sich "Minamata", der in der Reihe Berlinale-Specials Weltpremiere feiert - mit Hollywoodstar Johnny Depp in der Hauptrolle.
Kaum jemand weiß heute mehr etwas über die Einleitung von quecksilberhältigen Abwässern in einen japanischen See, an dessen Ufer Fischer wohnten, die durch die Brühe vergiftet wurden. Dabei ist sogar die chronische Quecksilbervergiftung danach benannt worden: Minamata-Krankheit.
Als eine Delegation aus Minamata den gefeierten Starfotografen Smith in New York um Hilfe bittet, will dieser anfangs nicht anbeißen: Ein körperliches und nervliches Wrack, ein von den Kriegserlebnissen, die er dokumentierte, traumatisierter Mensch, alkohol- und drogenabhängig. Dennoch fährt er mit ihnen, lässt sich immer weiter in die Sache der bisher vergebens protestierenden Menschen ziehen und dokumentiert mit der Kamera: Verkrüppelte, hilflose Menschen, ein hilfloser Schrei gegen das Umweltverbrechen.
Trotz zunehmenden Drucks durch das Unternehmen gelingt es Smith, die Fotografien an das US-Magazin "Life" zu schicken. "Wir müssen zahlen", ist der Kommentar des Firmenchefs mit der steinernen Mine, als das Heft auf seinem Schreibtisch liegt. In einem Prozess wird das Unternehmen zur höchsten Entschädigung verurteilt, die je ein Industrieunternehmen in Japan zahlen musste.
Die letzten Fotos
Es waren die letzten Fotos, die Smith für die Öffentlichkeit schoss. Ein Jahr nach seiner Dokumentation heiratet er Aileen, die ihn als Abgesandte in New York besucht hatte. Wenige Jahre später stirbt er, nicht zuletzt an den Verletzungen, die ihm der Werkschutz 1971 zugefügt hatte. Das erzählt der Abspann. Und er zeigt Fotos von Menschen, die durch diverse von der Industrie weltweit verursachte Umweltkatastrophen entstellt wurden.
Damit ist "Minamata" des US-Regisseurs Andrew Levitas, der den Film gemeinsam mit Johnny Depp auch produziert hat, in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Er weist darauf hin, dass es sich um keinen abgeschlossenen Unfall handelt, sondern solche Tragödien immer wieder vorkommen und Leid und Schmerzen auslösen. Gleichzeitig ist der Streifen eine Verbeugung vor der analogen Fotografie, dem Zauber von Dunkelkammer und Fixierflüssigkeit.
Johnny Depp kommt dem historischen W. Eugene Smith äußerlich sehr nahe und zeigt als vollbärtige, rüpelhafte Fotografenikone seine schauspielerische Wandlungsfähigkeit. Nuanciert fahrig und bewegungsunsicher ist sein nahezu dauertrunkener Smith, die Charakterstudie einer körperlich ausgeplünderten Kreatur, die sich noch einmal aufbäumt um Großes zu schaffen.
Stefan May/ APA