"Es war nicht unser Ziel, die Berlinale zu verändern." Das sagte der neue künstlerische Leiter der Berliner Filmfestspiele, Carlo Chatrian, bei seiner ersten Programmpräsentation am Mittwoch in Berlin. Er steht dem Festival gemeinsam mit Mariette Rissenbeek vor. Und obwohl es diesmal mit der 70. Ausgabe ein rundes Jubiläum gibt, blies den neuen Machern etwas rauer Wind um die Ohren.

So schloss mit Jahresende eines der großen Kinos am Potsdamer Platz, es musste Ersatz an anderen Aufführungsorten in der Stadt gesucht werden. Auch eine derzeit laufende Show am Eröffnungsort, dem Berlinale Palast, machte Sorgen. Da die Veranstaltungsräume im Keller durch Einrichtungen der Show verkleinert sind, weicht der Eröffnungsempfang am 20. Februar dieses Mal ins nahe Kulturforum aus. Der filmische Auftakt mit Philippe Falardeaus "My Salinger Year" steigt dann aber wieder im Berlinale Palast.

Sonst hat sich gegenüber den vergangenen Jahren unter der Leitung von Dieter Kosslick noch wenig verändert. Auf den Plakaten dominiert nicht mehr der Berliner Bär, er machte Platz einem dürren Buchstaben-Zahlen-Ornament. Die Sicherheitskontrollen vor der Pressekonferenz sind spürbar strenger geworden, und auch beim Fotocall zu Beginn vermisste man die üblichen Scherze des stets gut gelaunten, in einen farbenfrohen Schal gehüllten Kosslick. Carlo Chatrian und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek fremdelten anfangs noch ein wenig mit der geballten Journalistenschar.

Kumpelhafter Schmäh

Auch die Pressekonferenz selbst lief nüchterner ab als früher, ohne den kumpelhaften Schmäh von Kosslick. Die Berlinale ist eine ernste Sache geworden. Dass es die 70. Filmfestspiele sind, wird am 11. Februar mit Veranstaltungen mit diversen Partnern in der Stadt gewürdigt. Gastland ist diesmal Chile, der Fokus liegt auf Nachhaltigkeit. Ein Journalist vermisste ein Motto wie unter Kosslick. "Brauchen Sie ein Motto?", fragte Chatrian. "Navigieren Sie durchs Programm, Ihre Arbeit ist wichtig, aber nicht wegen eines Mottos."

Auch dass mit den deutschen Wettbewerbsbeiträgen "Berlin Alexanderplatz"von Burhan Qurbani und "Undine" von Christian Petzold eine besondere Hommage an Berlin verbunden wäre, stellt das neue Leitungsduo in Abrede. "Wir machen keine Filme, wir bekommen Filme, ohne dass wir eine Idee im Kopf haben", sagte Chatrian. Hauptkriterium sei die Qualität eines Streifens.

18 Filme im Wettbewerb

Im Wettbewerb - insgesamt rittern 18 Filme um die Auszeichnungen - würde sich eine Reihe von Beiträgen mit der dunklen Seite des Menschen beschäftigen, sagte der künstlerische Leiter, "aber nicht ohne Hoffnung." So sei über die Aufnahme von "Irradies" von Rithy Panh in den Wettbewerb "viel diskutiert" worden, weil er durch seine Thematisierung der Gräueltaten der Roten Khmer in Kambodscha "sehr viel zumutet".

In den Geschichten im Wettkampf um die Bärenpreise geht es um Gender-Grenzen im argentinischen Beitrag "El profugo" von Natalia Meta, eine Vater-Tochter-Beziehung im britischen Film "The Roads Not Taken" von Sally Potter und den Mut der Liebe in "Le sel des larmes" des Franzosen Philippe Garrel. "There Is No Evil" kommt aus dem Iran. "Wir hoffen, dass es die Behörden erlauben und Regisseur Mohammad Rasoulof nach Berlin kommen kann", sagte Chatrian. Zahlreiche Regisseure waren bereits schon mindestens einmal auf der Berlinale vertreten, vier Filme im Wettbewerb wurden von einem Regieduo geschaffen. In sechs der 18 Filme führten Frauen Regie.

Filme außer Konkurrenz

Die Rubrik "außer Konkurrenz" gibt es nicht mehr, dafür wurde die Sektion "Berlinale Special und Berlinale Series" eingeführt, die 28 Filme für ein breites Publikum zeigen soll. Unter den acht Serienbeiträgen sind die ersten drei Episoden von "Freud" aus Österreich. Regie bei der Koproduktion zwischen ORF und Netflix führte Marvin Kren. Gänzlich anders ist die neue Sektion "Encounters" konzipiert, die drei Preise bereithält. Unter den 15 Beiträgen ist mit Sandra Wollners "The Trouble with Being Born" auch ein österreichischer Film.

"Wir sehen, dass sich das Machen und Schauen von Filmen verändert", begründete Leiter Chatrian die neue Sektion. Diese Streifen seien "auf eine andere Art produziert, in ihrer Form für den Wettbewerb nicht geeignet". Einer der Beiträge dauert acht, ein anderer drei Stunden.

Die Jury der 70. Berlinale stehe bereits fest, werde aber ebenso wie die Liste der anreisenden Stars erst mit dem vollständigen Programm in knapp zwei Wochen veröffentlicht, sagten Chatrian und Rissenbeek. Immerhin den Jurypräsident kennt man bereits: Es ist Hollywoodstar Jeremy Irons. Die 70. Berlinale findet von 20. Februar bis 1. März statt.