Kein Geringerer als Steven Spielberg lotste einst das britische Theater-Wunderkind nach Hollywood. Dort fertigte Sam Mendes, heute 54, seinen ersten Kinofilm „American Beauty“ und erhielt dafür im Jahr 2000 prompt die Oscars für den besten Film und die beste Regie. Danach drehte er unter anderem die beiden James-Bond-Abenteuer „Skyfall“ und „Spectre“. Mit seinem neuesten Werk, dem Weltkrieg-I-Opus „1917“, schaffte er jüngst bei den Golden Globes abermals die Preise für den besten Film (Drama) und die beste Regie. Der Film läuft ab Donnerstag auch in den österreichischen Kinos.

Ihr Film „1917“ ist gleichzeitig ein Experiment: fast zwei Stunden in One-Shot-Optik, also ohne erkennbare Schnitte. Der Zuschauer folgt dem Geschehen sozusagen in Echtzeit. Wie entstand dieses Projekt?
SAM MENDES: Nach sieben Kinofilmen, bei denen ich mit den besten Autoren zusammengearbeitet hatte, hatte sich bei mir genug Selbstvertrauen eingestellt, mich einmal auch als Drehbuchautor zu versuchen. Ich spornte mich mit dem Gedanken an: Warum also sitze ich hier herum und warte auf eine gute Story, die ich verfilmen möchte? Warum schreibe ich sie nicht selbst?

Gesagt, getan? Woher nahmen Sie die Geschichte?
MENDES: Die ging mir schon lange durch den Kopf. Es waren die Erzählungen meines Großvaters Alfred H. Mendes, der von 1916 bis 1918 in der britischen Armee gedient und somit den Ersten Weltkrieg miterlebt hatte. Er bekam zwei Orden, erlitt eine Gasvergiftung, wurde vorübergehend nach Hause und dann wieder an die Front geschickt. Er starb 1991.

Gefährlicher Einsatz: Dean-Charles Chapman und  George MacKay in "1917"
Gefährlicher Einsatz: Dean-Charles Chapman und George MacKay in "1917" © AP

Was ist Ihnen von seinen Geschichten besonders im Gedächtnis geblieben?
MENDES: Vor allem, dass er kein Flunkerer war, der mit seinen Heldentaten prahlte. Nie hob er hervor, wie tapfer er gewesen war. Er war ein brillanter und charismatischer Erzähler, den ganz andere Dinge aus dem Kriegsgeschehen beschäftigten. Zum Beispiel: Was geht in einem Soldaten vor, dessen bester Freund und Kamerad plötzlich neben ihm, von einer Kugel getroffen, tot hinfällt? Denkt er danach an Dinge wie: Warum gerade er, warum nicht ich? Oder der anbrechende Frühling im Kriegsgebiet: Blumen wuchsen aus dem Boden. Und mittendrin in der wunderbaren Natur diese stupiden menschlichen Wesen, die Krieg führen mussten. Ich war vom dünnen Grat zwischen Glück und Unglück, Leben und Tod, wie er das schilderte, fasziniert. Aus vielen seiner Geschichten und Gedankengänge wollte ich mein Drehbuch formen.

Was ist in Ihren Augen nun daraus geworden?
MENDES: „1917“ ist keine Geschichtsstunde und auch kein konventioneller Kriegsfilm. Eher ein Kriegsthriller, der einem dauernd den Atem raubt. Zwei junge Soldaten brechen in geheimer Mission tief ins Feindesland auf, um eine Truppe von britischen Soldaten vor einem Hinterhalt der Gegner zu warnen und damit 1600 Menschenleben zu retten. Einer der Soldaten hat auch einen Verwandten bei dieser Truppe. Das Publikum muss dabei nichts über den Ersten Weltkrieg und seine Hintergründe wissen, es muss nur, minutiös, dem gefährlichen Einsatz der beiden Filmhelden folgen.

Historische Genauigkeit?
MENDES: Die sollte natürlich sein. Das ging von der richtigen Organisation in den Schützengräben bis zu den Details der Uniformen, dem akribischen Umgang mit Munition und der richtigen Pflege des Schuhwerks. Denn schadhafte Stiefel, die innen durchnässt und schmutzig waren, und in denen man sich die Füße aufrieb, konnten zu schweren Erkrankungen bis zum Wundbrand führen. Kleines Beispiel für unsere Genauigkeit: In Filmen über den Ersten Weltkrieg wurden bisher oft Helme verwendet, die es nur im Zweiten Weltkrieg gab. Also ließen wir mengenweise Originalhelme nachbauen.

Wie ging es Ihnen beim Drehbuchschreiben?
MENDES: Mein Ehrgeiz war, eine wirklich kühne Version zu entwerfen. Ich war überzeugt, dass ich den Film chronologisch drehen und nichts aufpfropfen wollte. Nach monatelangen Recherchen und Schreibversuchen entstand ein Treatment. Ich weiß noch: Nachdem ich mit Seite eins begonnen hatte, stellte ich mir dauernd neue Fragen. Das musste zu Verzögerungen führen, also holte ich Krysty Wilson-Cairns zu Hilfe, die an der von mir produzierten Horrorserie „Penny Dreadful“ mitgeschrieben hatte. Sie sorgte dafür, dass wir schneller vorankamen. Ich bin ihr sehr dankbar. Als dann das Buch fertig war, haben wir sechs Monate geprobt.

Mit all den vielen Darstellern und Statisten?
MENDES: Nein, die Proben fanden vor allem für Kameramann Roger Deakins statt. Wir mussten uns ja die Wege, die die beiden Soldaten gehen mussten, und all die Hindernisse, die es dabei für sie gab, genau vorzeichnen und einprägen. Da durfte nichts schiefgehen. Das hätte den ganzen Rhythmus gestoppt und zu Verzögerungen geführt.

Wie haben Sie die Statisten vorbereitet?
MENDES: Wir haben Bewerber zwischen 16 und 35 rekrutiert, am Ende waren es ungefähr 800. Sie sollten nicht nur ortsmäßig genau instruiert, sondern auch physisch und mental fit sein. Ihr jeweiliger Gesichtsausdruck sollte selbst in Einstellungen von wenigen Stunden stimmen, wenn sie etwa Angst, Zorn, Verzweiflung ausdrücken sollten.

Was war für Sie komplizierter: die James-Bond-Filme oder die Logistik bei „1917“?
MENDES: Schon James Bond. Mit oft zwölf Kameras, den Hubschraubern und der Dauer-Action. Ach, und da fällt mir noch etwas Interessantes zu meinem Großvater ein.

Nämlich?
MENDES: Noch 50 Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges hat er übermäßig oft seine Hände gewaschen. Natürlich fragten wir ihn, warum. Er erklärte es damit, dass er bei seinen Einsätzen so oft mit Blut in Berührung gekommen war, dass er es auch so lange danach noch dauernd wegwaschen wollte.