Das Drehbuch zu Ihrem neuen Film „Little Joe“ haben Sie auf Deutsch verfasst, dann wurde es ins Englische übersetzt, gedreht haben Sie erstmals auf Englisch. Hat sich dadurch am Set etwas verändert für Sie?
Jessica Hausner: Ich empfand das als positiv, weil mir die englische Sprache sehr entgegenkommt. Englisch ist kurz und präzise und trotzdem eine sehr philosophische Sprache. Die Idee war auch, den Film nicht in einem spezifischen Land spielen zu lassen – so entsteht eine etwas abstraktere Erzählwelt. Diese ist fast surreal, eine leicht erhöhte Welt.


Hat diese Internationalität für Sie auch Auswirkungen?
Wahrscheinlich. Ich denke, dass der Film auf einer internationalen Ebene gut funktioniert, aber das Gesamtkonzept muss schon stimmen. Man kann nicht einfach nur auf Englisch drehen, um mehr Zuschauer zu bekommen. Im Fall von „Little Joe“ war das eine künstlerische Entscheidung. Ich wollte einen Film machen, der auch mit Genre-Elementen spielt und ein Science-Fiction-Film ist, da ist Englisch fast naheliegend.


Ihre Ursprungsidee für den Film über eine Wissenschaftlerin, die an einer Pflanze forscht, die Glück bringen soll, war eine weibliche Frankenstein-Figur. Was hat Sie daran interessiert?
Die klassische Frankenstein-Geschichte über einen Wissenschaftler, der ein Monster kreiert, das sich dann selbstständig macht, ist eigentlich sehr leicht mit der Rolle einer Mutter zu vergleichen. Sie bringt auch ein Kind zur Welt, das vielleicht nicht so ist, wie sie es will oder sich erhofft hat. Wie auch immer: Man hat nur bis zu einem gewissen Grad Kontrolle über das Wesen, das sich irgendwann selbstständig macht und tut, was es will. Das ist eine seltsame Vorstellung und auch ein ungewöhnlicher Blick auf das Muttersein.


Welche Bedeutung steckt hinter der Farbe Rot der Blumen?
Rot spielt in all meinen Filmen eine Rolle – der sogenannte rote Faden. Bei „Lourdes“ trägt die Hauptfigur einen roten Hut, bei „Lovely Rita“ trägt sie rote Stiefeletten, bei „Flora“ hat sie einen roten Koffer und bei „Little Joe“ sind die Blumen rot, angelehnt an Blutlilien, Scadoxus multiflorus. Die Farbe ist archaisch. Man hat die Assoziation, dass es bei einer roten Blume um Liebe oder Gefahr geht – darum geht es bei „Little Joe“ ja auch.


Frauen spielen in Ihren Filmen stets Hauptrollen. Was ist Ihnen bei einer Frauenfigur wichtig?
Ich erzähle Geschichten, die wie Märchen funktionieren, sehr klar gebaute Konstrukte, die sich oft auf alte Mythen beziehen. Dabei ist es interessant, die Geschlechterrollen zu tauschen. Insofern geht es mir darum, bestimmte Rollenbilder zu hinterfragen, und ich glaube, das ist auch ein Grund, warum in meinen Filmen immer Uniformen vorkommen.


Wofür stehen die Uniformen?
Sie sind ein visuelles Symbol für die Rolle, die ich in einer Gesellschaft habe. Jeder trägt auf seine Art eine Uniform, jeder kleidet sich entsprechend den Codes. Ich versuche in meinen Filmen zu zeigen: Was ist ein Individuum? Was ist persönliche Freiheit? Wir alle sind sehr stark bestimmt durch den Platz, den wir in einer Gesellschaft haben. Die Freiheit ist begrenzt durch die Rolle, die wir zu spielen, und den Text, den wir zu sprechen haben.


Ihre Filme reüssieren im Ausland. Welche Reise hat denn „Little Joe“ nun noch vor sich?
Der Film läuft auf diversen Festivals wie aktuell auf der Viennale und wird auch in diversen Ländern im Kino zu sehen sein. Und: Im Lincoln Center in New York wird es eine Retrospektive von meinen Filmen geben.


Das ist ja schön!
Ja, es gibt auch eine Retrospektive meiner Filme in London. Ich habe das Gefühl, dass das jetzt Thema ist: die Suche nach interessanten Regisseurinnen. Einige Kinos und Verleiher zeigen gleich einige meiner Filme, um ein Gesamtbild herzustellen.