Winters beschreibt in seinem Film anhand der Freundschaft zwischen einem 13-jährigen Mädchen und einem ehemaligen, gerade aus der Haft entlassenen Drogenboss, auf welche brutale Weise die Lebensträume und Zukunftschancen der Menschen in den Favela-Armenviertel Rio de Janeiros immer wieder zerstört werden. Die Schuldigen sind schnell ausgemacht: die Armut, Rassismus, die brutale Gewalt der in den Favelas herrschenden Drogenkartelle, für die ein Menschenleben nicht viel zählt. Aber auch die korrupte Polizei und die Politik selber, die der Welt während der Olympiade 2016 ein sicheres Rio vorführen wollte und dafür die Favelas nicht gerade friedlich "befriedete".
Es ist ein bewegender, visuell starker Film mit überragenden Schauspielern, welche die Ohnmacht der Favela-Bewohner fast schon beängstigend realistisch darstellten. So erhielt das Sozialdrama neben der "Goldenen Muschel" auch den Preis für die "beste Fotografie".
Die Auszeichnung als "beste Darstellerin" ging ex aequo an die deutsche Schauspielerin Nina Hoss und die Spanierin Greta Fernandez. Nina Hoss stellt in Ina Weisses "Das Vorspiel" eine nach außen sehr disziplinierte, aber innerlich vollkommen aufgewühlte und sich emotional verlierende Geigenlehrerin dar, die für den Erfolg eines Schülers sogar ihre Familie aufs Spiel setzt. Unterdessen verkörpert die spanische Nachwuchsschauspielerin Greta Fernandez in Belen Funes Regiedebüt "La Hija de un ladron" die alleinerziehende 22-jährige Mutter Sara. Ein mitreißendes Sozialdrama über Einsamkeit, Familie und dem Wunsch nach menschlicher Wärme.
Der diesjährige Regie-Preis erhielten die spanischen Filmemacher Jon Garano, Aitor Arregi und Jose Mari Goenaga für ihren überwältigenden Spanischen Bürgerkriegsfilm "La trinchera infinita" (The endless trench). Der Film, der als einer der Top-Favoriten für die "Goldene Muschel" gehandelt wurde, beleuchtet ein relativ unbekanntes Thema, das durch die jüngsten Debatten über die baldige Exhumierung der Überreste des 1975 verstorbenen Diktators Franco aber von enormer Aktualität ist.
Als Franco 1969 ein Amnestiegesetz verabschiedete, welches auch angeblich während des Bürgerkriegs (1936-1939) kriminell gewordene Regime-Gegner begnadigte, kamen Hunderte aus Verstecken, in denen sie teils über 30 Jahre lang wie Tiere lebten. Schauspieler Antonio de la Torre stellt grandios einen dieser sogenannten "Maulwürfe" dar, der bis 1969 in Andalusien einem Kellerloch hauste. Ein bewegendes, erschreckendes Beispiel, wie Menschen noch bis vor wenigen Jahren in Spanien unter den Folgen der faschistischen Gewaltherrschaft litten. Der Film wurde auch für das "beste Drehbuch" ausgezeichnet und erhielt den Fipresci-Filmkritikerpreis.
Der begehrte Jurypreis ging heuer an das Astronautendrama "Proxima" der Französin Alice Winocour. Der Festivalbeitrag mit Eva Green und Matt Dillon behandelt den Spagat einer Astronautin zwischen Muttersein, Arbeitswelt und den Kampf um Gleichberechtigung. Im "New Directors"-Wettbewerb konnte sich der Chilene Jorge Riquelme Serrano mit "Algunas Bestias" durchsetzen. Der britische Kult-Regisseur Ken Loach gewann hingegen mit "Sorry we missed you" den Publikumspreis. Der spanische Oscar-Preisträger Alejandro Amenabar ging mit seinem spanischen Bürgerkriegs-Drama "While at war" überraschend leer aus, während Hollywoodstar James Franco mit seinem Wettbewerbsfilm "Zeroville" wegen eines parallelen Kinostarts des Streifens in Russland nicht mehr am Rennen um die "Goldene Muschel" mitkämpfen durfte.
Auch in diesem Jahr waren wieder viele internationale Stars auf dem Festival von San Sebastian zu sehen, das neben Berlin, Cannes und Venedig zu den bedeutendsten Filmfestivals der Welt gehört. "Twilight"-Star Kristen Stewart, Cannes-Gewinner Hirokazu Kore-eda, Ken Loach. Hollywood-Star Sam Neill und Regisseur Roger Michells eröffneten das Festival mit dem bewegenden Sterbehilfedrama "Blackbird".
Donald Sutherland und der griechisch-französische Kult-Regisseur Konstantinos Costa-Gavras erhielten heuer den Donostia-Award für ihr Lebenswerk, den am Freitagabend auch Almodovar-Muse Penelope Cruz von Überraschungsgast U2-Sänger Bono entgegennahm. Ihr Ehemann, Oscarpreisträger Javier Bardem ("No country for old man"), feierte am Tag zuvor in der nordspanischen Küstenstadt bereits die Europapremiere seiner Antarktis-Doku "Santuary" und machte das Festival zusammen mit Hollywood-Urgestein Donald Sutherland zu einem Weckruf für den Klimaschutz. Das Internationale Festival von San Sebastian endete am Samstag mit dem Abschlussfilm "The Song of Names" mit Tim Roth, Clive Owen und Catherine McCormack.