Ein alter Mann, dessen toter Hund und ein junger Flüchtling aus Afghanistan: Das ist der Ausgangspunkt im neuen Film „Nobadi“ von Karl Markovics. Der kauzige Witwer mit SS-Vergangenheit, dessen Biografie sich nicht mehr umschreiben lässt, beschäftigt den jungen Menschen, dessen Zukunft noch völlig offen ist, gegen einen Hungerlohn, damit dieser eine Grube für den toten Hund gräbt.
Der Schauspieler und Autor legt nach „Atmen“ und „Superwelt“ sein drittes Werk als Filmemacher vor. Es sei, sagt der 56-Jährige mit dem markanten Gesicht ein bisschen verschmitzt, „Markovics für sehr Fortgeschrittene“. Schonungslos zwingt dieser Film sein Publikum zum Hinschauen: „Es war für mich zwingend, diese Geschichte der unaufgearbeiteten und immer wieder verdrängten Schuld-, Verantwortungs-, Reue- und Beteiligungsfrage am Nationalsozialmus zu erzählen“, sagt Markovics, während er im Café Kanzlei in Mödling mit einem frisch gepressten Apfel-Karotten-Saft sitzt. Nachsatz: „Und das war nur mit einer radikaleren Erzählweise möglich.“
In seinem Kammerspiel, verortet in der Enge einer parzellierten Wiener Schrebergartensiedlung, leuchtet der Regisseur Markovics das „Wegschauen, das Hinschauen, das Nicht-mehr-hinschauen-Können und das Eigentlich-wegschauen-Wollen“ aus. „Die Enge ist eine Metapher für die Enge im Kopf und im Herzen.“
Großartiger Kniff: Um die Geschichte des Flüchtlings mit dem Tattoo „Nobadi“ („Nobody“, also „niemand“) aus dem Lager zu erfahren, muss man in einer explizit grausamen Schlüsselszene aber hinschauen, weil die Übersetzung der Worte, die der junge Flüchtling auf Dari sagt, nur als Laufschrift über die Leinwand wandern.
Wider das Verdrängen, Vergessen, Verleugnen
„Es hat mit der Zeitspanne von 1945 bis heute zu tun, in der offensichtlich immer noch zu wenig passiert ist, da wir beinahe täglich mit Einzelfällen konfrontiert sind“, sagt der 56-Jährige.
Das Verdrängen, Vergessen und Verleugnen hänge mit der Großvätergeneration zusammen. „Über sie wurde nie etwas aufgearbeitet, weil sie entweder nix erzählt haben oder nur die Hälfte oder weil wir nicht gefragt haben.“
Vom "Kommissar Rex" bis "Die Fälscher"
Ein Gespräch mit Karl Markovics ist wie eine Privataufführung seiner Schauspielkünste: Er sagt nicht nur in Worten, was er meint. Er verkörpert seine Rollen, seine Haltungen, er belebt historische Fakten, erforscht die Geschichten hinter der Geschichte und lebt seine Figuren auf der Bühne, am Set oder am Kaffeehaustisch mit all ihren Zweifeln und ihrer Zerrissenheit unverwechselbar eindringlich – vom Stockinger im „Kommissar Rex“ bis hin zu Salomon Sorowitsch in Stefan Ruzowitzkys oscarprämiertem Drama „Die Fälscher“.
„Ich habe unlängst auf Ö 1 einen Beitrag zu Marko Feingold gehört“, beginnt Markovics vom jüngst verstorbenen ältesten Holocaustüberlebenden zu erzählen, der fünf Jahre in vier Konzentrationslagern überlebt hat, zuletzt in Buchenwald. „Es war unglaublich! Nachdem Buchenwald befreit worden war, kamen aus den 18 Nationen, aus denen die jüdischen Gefangenen waren, aus 17 Nationen Vertreter angereist, um die Häftlinge abzuholen. Nur von Österreich kam niemand.“
Die Verdrehung und Verdrängung
Markovics setzt sich auf, beginnt mit den Händen zu erzählen: „Schon da begann die massive Kittung, Verdrehung und Verdrängung der Geschichte. Es gab damals schon den Masterplan des Staatsvertrages in den Köpfen.“ Und damit einhergehend die Erzählung von „Österreich als erstem Opfer des Nationalsozialismus“.
Die vielen sogenannten Einzelfälle der Tagespolitik seien laut Markovics nur die „Spitze“, aber „den Berg selbst ist man nie angegangen“. Womit wir auch bei der Intention dieses Films wären: „Mir geht es darum, eine Art von Verhältnismäßigkeit herzustellen, wie es wahrscheinlich nur mit den Mitteln der Kunst möglich ist, die Größe des Verbrechens zu begreifen, die Unmöglichkeit, es wiedergutzumachen und es nicht kleinzureden.“
"Es gibt keinen ehrenhaften Krieg"
Kurze Nachdenkpause. „Es gibt keinen ehrenhaften Krieg.“
Bei aller schmerzvollen Klarheit des Films sieht sich Markovics nicht als Pessimist mit pessimistischer Botschaft. „Im Gegenteil. Es ist eine extrem zugespitzte Standortbeschreibung vom inneren Zustand unserer Nation anhand eines exemplarischen letzten Überlebenden dieser Zeit.“ In diesem Land, in dem „man alles sein kann – Nazi, Sozialist, Kommunist, Kleingartenbesitzer – oder nichts.“ Gemäß Anton Kuhs früher Diagnose: „Der Österreicher ist aus Schleim gemeißelt.“ Vorhang zu! Der Film startet am 4. Oktober in den Kinos.