Eine Woche später wäre die Einschlafquote im Kino sicher noch deutlich höher ausgefallen. Am zweiten Festivaltag in Venedig allerdings dürften die meisten noch frisch genug für James Grays Sci-Fi-Drama „Ad Astra“ gewesen sein – und um Brad Pitt, der Fans auf dem Lido verlässlich in kreischende Star-Ekstase versetzte, mit offenen Augen ins Weltall zu folgen. Selbst im Wachzustand fühlte man sich aber seltsam sediert in dieser zeitzerdehnten Space-Meditation, bei der es in der nicht allzu fernen Zukunft um nicht weniger als die Rettung der Menschheit geht. Im Kern allerdings konzentriert sich Regisseur Gray dabei auf das intime Drama eines Sohnes mit Sehnsucht nach seinem Vater, der emotional und ganz real denkbar weit von ihm entfernt ist: am Planeten Neptun.

Eindrucksvolle Bilder, gute Figur

Auf dem Weg dorthin wird die ganze Breite der Leinwand zwar mit vielen großen, eindrucksvollen Bildern gefüllt. Doch zum raunenden Sinnieren aus dem Off und dem permanent majestätischen Filmmusik-Wabern bietet „Ad Astra“ zu wenige Möglichkeiten, emotional anzudocken. Das macht selbst die Starbesetzung nicht wett, zu der auch Ruth Negga, Liv Tyler und Tommy Lee Jones gehören – neben Pitt, der zwar im Raumanzug eine so gute Figur wie auf dem roten Teppich macht. Einen ganzen Film mit vielen stillen Blicken zu tragen, will dem 55-Jährigen dann aber doch nicht ganz gelingen.

Anstrengende Trennung

Eine zwischenmenschliche Beziehung steht auch im Mittelpunkt von Noah Baumbachs „Marriage Story“, den man zunächst noch für einen Liebesfilm halten könnte: Wenn Theater-Regisseur Charlie (Adam Driver) und Schauspielerin Nicole (Scarlett Johansson) die vielen Kleinigkeiten beschreiben, die sie aneinander mögen. Sofort danach stellt sich allerdings heraus: Die beiden sitzen bei einem Paartherapeuten, trennen sich und werden zwischen New York und Los Angeles durch die Scheidungsmangel genommen.

US-Regisseur Noah Baumbach, Scarlett Johansson und Adam Driver erscheinen zum Fototermin
US-Regisseur Noah Baumbach, Scarlett Johansson und Adam Driver erscheinen zum Fototermin © APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI

Wie viele Trennungen sind auch diese 135 Trennungsminuten mitunter zäh, anstrengend. Schließlich geht es ums Sorgerecht für den Sohn, um harte Vorwürfe und die bitteren Gefühle einer gescheiterten Ehe. Baumbach aber lockert seine Netflix-Produktion mit vielen heiteren Augenblicken auf – was dem Film zwar etwas mehr Leichtigkeit verleiht, ihm trotz des hervorragend aufspielenden Paares, das auch zur Premiere in den Sala Grande kam, aber auch etwas an schmerzhafter Intensität nimmt. 

Die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al Mansour
Die saudi-arabische Regisseurin Haifaa Al Mansour © APA/AFP/ALBERTO PIZZOLI

Frauenfreiheiten


Aus dem intimen Raum der Familie führte Haifaa Al Mansours „The Perfect Candidate“ mutig heraus. Wie in ihrem Erstling „Das Mädchen Wadjda“ öffnete die saudi-arabische Regisseurin mit ihrem gelungenen Venedig-Wettbewerbsdebüt, eine deutsche Koproduktion, auf spannende Weise ein Fenster in die verschlossene Gesellschaft ihrer Heimat. Anhand der gradlinigen Geschichte einer jungen Ärztin, die sich bei einer Kommunalwahl aufstellen lässt, erzählt sie von kleinen Schritten der Veränderung und nach und nach erkämpften Frauenfreiheiten in dem überwiegend geschlechtergetrennten, von Männern dominierten Land. In Venedig erklärte Al Mansour dazu, dass sie sich eine Welt wünscht, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind – und fügte unter Tränen hinzu: „Ich will, dass meine Tochter in der Zukunft in solch einer Welt lebt.“