Die kleine Erika fährt Seifenkistenrennen und repariert Papas Auto. Mit 18 wird sie Abfahrtsweltmeisterin, mit 20 offiziell zum Mann. Dies ist die Lebensgeschichte von Erik Schinegger, der als Intersexueller 20 Jahre als Mädchen erzogen wurde. Und es ist die Geschichte von "Erika & Erik", dem neuen Film von Reinhold Bilgeri, der damit ein unglaubliches Leben nachzeichnet.

"Die Puppe hat sie noch nie angerührt, aber den kleinen Traktor nimmt sie mit ins Bett", wundert sich die Mutter, eine einfache Kärntner Bäuerin (von Birgit Melcher ebenso stimmig interpretiert wie der stille Vater von Gerhard Liebmann) über die burschikose Tochter, die so gar nicht den für ihre Geschlechterrolle vorgesehenen Klischees entsprechen will. Vorzeichen, die sich im Fortgang des Lebens bewahrheiten sollten, steigt das vermeintliche Bauernmädel mit dem maskulinen Auftreten (Markus Freistätter) doch 1966 im chilenischen Portillo zur Skiweltmeisterin auf.

Der Österreichische Skiverband (ÖSV) feiert sie, ihr Dorf ebenso. Umso größer die Bombe, die platzt, als vor den Olympischen Winterspielen 1968 in Grenoble ein Chromosomentest an Schinegger ergibt, dass es sich bei Erika genetisch eindeutig um einen Mann handelt. Während der ÖSV auf eine Operation zur Frau hin drängt, stehen Erika einzig Schwester Sigberta (Marianne Sägebrecht) und der Arzt Kübler (Harald Schrott) im Krankenhaus bei. Schließlich fällt die Entscheidung, die nach innen gewachsenen männlichen Geschlechtsorgane zu operieren, und Erika nun auch offiziell zum Mann werden zu lassen.

Trotz des schwierigen Themas der Intersexualität und des damit verbundenen Leidenswegs steigt Bilgeri mit "Erika & Erik" sehr sonnig ein. In farbsatten, lichtdurchfluteten Bildern erinnert das Werk lange an die handelsüblichen Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, ein Eindruck, der sich auch im Soundtrack niederschlägt. Auf Anekdotenniveau fließt die Kindheitserzählung dahin. Und geradezu desaströs erweist sich die Entscheidung, die gewohnt charmante Ulrike Beimpold als Sekretärin des Österreichischen Skiverbands als Off-Kommentatorin einzusetzen, die immer wieder Texte einspricht, die das Geschehen kommentieren. Diese verleihen dem Werk ein süßliches Kinderfilmflair und erklären Dinge, die für die Interpretation des Geschehens lieber unausgesprochen blieben.

Und doch schleicht sich in diese vermeintliche gewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte sukzessive Zweifel und Unsicherheiten ein. Erika läuft gegen die immer wiederkehrenden Geister an und duscht nur im Badeanzug vor ihren Altersgenossinnen. Hier kann der Wiener Nachwuchsschauspieler Markus Freistätter seine ganze Qualität in der Interpretation einer Figur ausspielen, ohne diese durch Überspiel zu verraten. Gänzlich die Maske des Films und der Zeit fällt dann, wenn die Beteiligten ihre Lebenslügen nicht mehr aufrechterhalten können und sich der Wahrheit stellen müssen. In Zeiten, in denen die MeToo-Debatte um den Fall Nicola Werdenigg auch den ÖSV beutelt, zeigt "Erika & Erik" eine zutiefst von patriarchalen Hierarchien geprägte Organisation. Zugleich ist der Film auch das Porträt einer hilflosen Zeit, die mit Thematiken wie der Intersexualität noch nicht im Geringsten umzugehen weiß.

Hier gelingen Bilgeri letztlich doch durchaus schöne Sinnbilder und Metaphern, schafft es die Erzählungen, Dinge in der Schwebe zu halten, nicht jedes Verhalten zu verbalisieren. Da ist es dann schon fast wieder verzeihlich, wenn bei der ersten Fahrt Eriks mit seinem neuen Porsche als Aufbruch in sein neues Leben der Klischeesong "Born to be wild" erklingt.

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