Wenn es einen Film gibt, der für Kunstschaffende zum absoluten Pflichtprogramm gehören sollte, ist es Ruben Östlunds "The Square". Mit dem heurigen Cannes-Gewinner kommt am Freitag eine gallige und doch subtile Satire über die zeitgenössische Kunst, das liberal-urbane Bildungsbürgertum und die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung eines überspannten Kulturbetriebs in die Kinos.
Der 43-jährige Östlund, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, stellt in den Mittelpunkt seiner Geschichte den Kurator Christian, gespielt vom großartigen dänischen Schauspieler Claes Bang (der sich in der deutschen Fassung selbst synchronisiert hat). Der ist ein typischer Vertreter seiner Zunft - man trägt Designerbrille, fährt Tesla, ist immer im Slim-Fit-Anzug unterwegs und in jeder Hinsicht Connaisseur.
Am Beginn seiner persönlichen Abwärtsspirale, möchte der eitle Museumsmann eigentlich nur die neue Kunstinstallation "The Square" hinter dem königlichen Schloss in Stockholm möglichst breitenwirksam bewerben. Der vier mal vier Meter große Platz soll ein gleichsam utopischer Ort sein, an dem jeder gleiche Rechte und Pflichten hat und sich auf die solidarische Hilfe der anderen verlassen kann. Da kommt es bei der Medienöffentlichkeit und der Museumsleitung nicht allzu gut an, dass die angeheuerte Werbeagentur ein blondes, obdachloses Kind im Youtube-Clip auf eben jenem Platz in die Luft jagt.
Desaster bei einer Museumsgala
Auch Christians Idee, das ihm gestohlene Handy durch Drohbriefe an alle Bewohner des mittels Ortung lokalisierten Hauses des Diebs zurückzubekommen, läuft aus dem Ruder. Durch die Aktion bringt er einen Buben gegen sich auf, der nun unschuldig von seinen Eltern verdächtigt wird und beginnt, Christian zu verfolgen. Und schließlich wächst sich die Performance, bei der in einer Museumsgala die geladene Hautevolee einem Affenmenschen (Terry Notary) ausgesetzt wird, ebenfalls zum Desaster aus, nachdem der Schimpansenimitator zu sehr in der Rolle aufgeht und die Gäste angreift. Christians Welt droht gänzlich aus den Fugen zu geraten.
Zwar ist "The Square", der heuer bei den Filmfestspielen von Cannes mit der Goldenen Palme gekrönt wurde, auch das Porträt einer modernen Männlichkeit in der Krise. Vornehmlich allerdings ist das mit 144 Minuten etwas lang geratene Werk jedoch eine bitterböse Satire auf Schweden und seinen politisch korrekten Diskurs und auf die westliche Elitengesellschaft im Allgemeinen. Seine Thesen postuliert "The Square" dabei für eine zugespitzte Satire meist überraschend subtil, nicht auf die schnelle Pointe abzielend.
Hyperästhetische Einstellungen
In meist starren, hochästhetischen Einstellungen - oft untermalt vom "Ave Maria" in einer Semi-A-Cappella -Version - reiht Östlund lakonische Szenen in bewusst fragmentarischem Zusammenhang aneinander. Auf jeder peinlichen Situation bleibt die Kamera länger als angenehm, und doch federt der Film seine schwarze Kritik durch Humor ab. Mit seiner nächtlichen Eroberung, der Journalistin Anne (Elisabeth Moss), liefert sich Christian etwa nicht nur ein Rededuell um die Bedeutung von Sex, sondern auch einen Streit um das gebrauchte Kondom nach einer der mechanischsten Sexszenen der Filmgeschichte.
Wenn einer der Zuschauer beim Diskussionsabend im Museum das Tourette-Syndrom hat und unflätige Beschimpfungen in die vergeistigte Zwiesprache am Podium einwirft, bleibt die Kamera auf den Diskutanten, nicht dem Betroffenen. Und auf Mitleidsszenen von Armen folgt sogleich eine Sequenz mit einer unverschämten Bettlerin. Denn im Kern ist die Armut und die Verantwortung der Gesellschaft in dieser Hinsicht das zentrale Thema des Films. Dieses setzt er in Konfrontation mit einer dekadenten Kunstwelt, die sich in einem Kuratorensprech ergeht, den sie letztlich ebenso wenig versteht wie die Realität.