Selten ist die Viennale mit einem so mild-melancholischen Film eröffnet worden wie mit John Carroll Lynchs "Lucky". Das Werk ist eine Verbeugung vor dem Charakterdarsteller Harry Dean Stanton, der vor kurzem starb und sich mit "Lucky" von der Kinoleinwand verabschiedet. Somit passt der Film, der am Donnerstag das Filmfestival eröffnet, perfekt in die vom Gedenken an Hans Hurch geprägte Ausgabe.
Ein so weises Regiedebüt wie das von Schauspieler John Carroll Lynch, der immerhin schon 54 Lenze zählt, gibt es nicht oft im Kino. Der Neu-Regisseur verlässt sich in seiner lebensklugen Hommage an das Sterben ganz auf Harry Dean Stanton, der beim Dreh schon 90 Jahre alt war und heuer am 15. September im Alter von 91 Jahren verstarb. Er ist der einsame Wolf und Freigeist Lucky, der alleine in einem abgeschiedenen Wüstenstädtchen mitten im Nirgendwo des US-amerikanischen Südwestens lebt.
Routine & Rituale
Seine Tage sind von ewig gleichen Ritualen geprägt: Jeden Morgen ein paar Yogaübungen, danach der Gang durch die Stadt, ein kleiner Einkauf, das Einkehren im Diner zum Kreuzworträtsellösen und stets die Tschick im Mund. Abends klingen die Tage bei philosophischen Gesprächen und einer Bloody Mary in der örtlichen Bar aus.
Diese Routine durchbricht ein kleiner Schwächeanfall. Obgleich sein Arzt (wunderbar lakonisch: Ed Begley Jr.) Lucky versichert, dass er für sein Alter noch überraschend fit sei, bringt dem Greis das Erlebnis erstmals zu Bewusstsein, dass er sterben wird. Diese Neuigkeit stürzt Lucky in eine Sinnkrise, setzt er sich doch erstmals mit seinem Ende auseinander.
Die Parallelen zwischen Stanton und seiner Figur sind dabei evident, nicht nur aufgrund der biografischen Daten. Stets ausgemergelt, wie der Überlebende eines unbekannten Schicksalschlags, prägte der Schauspieler über Jahrzehnte jene Filme, in denen er meist in der zweiten Reihe spielte. Dabei wurde er nie für einen Oscar nominiert - vielleicht weil er seine Rollen stets so natürlich spielte, dass die Schauspielkunst dahinter niemals allzu evident wurde.
Denkmal
Dabei war der aus Kentucky stammende Stanton nie ein Typ, den man mit dem Begriff "lucky", also glücklich, in Verbindung gebracht hätte. Und auch in "Lucky" spielt der 90-Jährige in der vollkommenen Ausstellung seiner Körperlichkeit im Wesentlichen einen Menschen an sich - weder übertrieben liebenswert, noch als Ekel.
Ihm errichtet Lynch ein filmisches Denkmal, in dem er bereits in den Credits den Stil alter Western zitiert und Stanton wie einst im Wenders-Klassiker "Paris, Texas" durch die Wüste stapfen lässt. Einige ebenfalls gealterte Wegbegleiter wie Kultregisseur David Lynch oder Tom Skerritt interpretieren die skurrilen, aber doch stets glaubwürdigen Gestalten, die Luckys Lebenswelt bilden.
So ist "Lucky" ein zu Herzen gehender Abschiedsfilm eines Großen des Kinos geworden, ein unzynisches "About Schmidt", eine milde Reflexion über das Ende und damit auch über das Leben. Dies ist nicht philosophisch tiefschürfend, sondern auch hier menschlich, selbst wenn Stantons Lucky zum Schluss so etwas wie Erleuchtung findet. Schließlich reift in ihm die Erkenntnis, dass man dem Ende mit Heiterkeit entgegensehen muss. Und so verabschiedet sich der große Harry Dean Stanton vom Kino und dem Leben mit dem, was man von ihm im Laufe seiner Leinwandkarriere am wenigsten kannte: einem Lächeln.