Es ist mehr ein kollektives Aufstöhnen, wenn man von „IHM“ spricht. Die Erinnerungen an „IHN“ sind bei den meisten Menschen nicht angenehm und leider in den wenigsten Fällen auch nicht verschwommen. Da braucht man Jahre, um „IHN“ endlich zu vergessen, und schon ist er wieder da: Stephen Kings Horrorclown Pennywise, der im Original als „It“ - übersetzt als „Es“ - bezeichnet wird, treibt derzeit im Kino wieder sein Unwesen.

Regisseur Andrés Muschietti hat die gruselige Familienaufstellung, die ursprünglich in den 1950ern angesiedelt ist, in die 1980er transferiert. Weniger gruselig wird es aber nicht: In der kleinen US-Stadt Derry passieren zwar seit Jahren unheimliche Dinge: Ein mysteriöser Todesfall da, ein verschwundenes Kind dort, aber irgendwie hat man sich an das schleichende Böse gewöhnt. Bis der kleine Georgie verschwindet, das lässt ausgerechnet die schwächste Gruppe der Gesellschaft aufhorchen: Kinder. Der Bruder des Verschwundenen und seine sechs Freunde, allesamt Ausgestoßene der Gesellschaft, erkennen bald: Es ist der Clown Pennywise. Und plötzlich hat das schleichende Böse ein Gesicht, wird spürbar, greifbar, nicht mehr ausblendbar.

Spätestens seit diesem Filmklassiker sind in den heimischen Kinderzimmern die Clowns weniger geworden oder werden seither zumindest argwöhnisch beobachtet. War da ein Zucken? Was verbirgt sich hinter dieser Maske? Die krankhafte Angst vor Clowns hat sogar einen eigenen Namen: „Coulrophobie“. Das Rezept hinter dem clownesken Gruseln: die Diskrepanz zwischen Mimik und Aussehen. Außerdem handeln diese seltsamen Wesen nicht nach wichtigen gesellschaftlichen Normen. Das Lächeln ist nicht echt und auch die Stimmlage lässt zweifeln, was das geschminkte Gegenüber im Schilde führt.

In der Roboterforschung ist dieses Phänomen auch als „Uncanny Valley“-Effekt bekannt. Außerdem weiß Mensch gerne, mit wem oder, in diesem Fall, womit er es zu tun hat. Wobei das Böse ganz unterschiedliche Gesichter haben kann, wie auch der Filmexperte und Kurator des /slash-HorrorfilmfestivalsMarkus Keuschnigg anhand von „Es“ analysiert. „Stephen Kings Roman zeigt, dass es letztlich die Normgesellschaft ist, die wegschaut, wenn Minderheiten, Arme, Schwache und Hilfsbedürftige - wie auch Kinder - Opfer von Gewalt werden. Sie stellt sich als eigentliches Monstrum heraus, das weitaus schlimmer ist als ,Es'.“

Bill Skarsgard verkörpert im Remake den Clown Pennywise
Bill Skarsgard verkörpert im Remake den Clown Pennywise © Richard Shotwell/Invision/AP

Es ist die Banalität des Bösen, das uns den nachhaltigsten Gänsehautfaktor beschert, weil ja doch die Wahrscheinlichkeit besteht, weil das einfache Flackern einer Glühbirne, ein Schatten vorm Fenster oder unruhige Haustiere so ganz und gar nicht abwegig sind. Die Wirkung dieser mutresistenten Horrorformel bestätigt auch Keuschnigg: „Grundsätzlich gilt: Je alltäglicher die Angst ist, desto effektiver ist ein Horrorfilm. Klassisches Beispiel wäre die Angst vor der Dunkelheit, die so gut wie jeder nachvollziehen kann und die daher einen perfekten Nährboden für furchteinflößende Sequenzen bietet.“

Sorgt für Gruselstoff: Autor Stephen King
Sorgt für Gruselstoff: Autor Stephen King © AP (Mark Lennihan)

Auch wenn einen das Gefühl beschleicht, dass es schon ewig keinen richtigen Horrorschocker mehr im Kino gegeben hat, sollte man sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, denn das Grauen hat nie frei - und wir sprechen hier nicht nur von der Weltpolitik. Der Horror hat sich dank diverser Streamingkanäle wie Netflix und Amazon Prime schön in kleine Happen filetiert, um jederzeit konsumiert zu werden. Auffallend ist, dass sich die Grenzen zwischen echtem Horror und Mystery zusehends in Richtung Mystery verschieben, weil mit dieser Schonkost schläft es sich einfach leichter.

Man sollte nicht vergessen, dass das Streamingportal immer und überall ein Tor in die Hölle öffnen kann - Kopfkino auf Knopfdruck. Serien wie „Stranger Things“, „The Walking Dead“ oder „American Horror Story“ lehren uns auf der Couch das Gruseln. Der blanke Horror wie in „Es“ hat kein Verfallsdatum, wie auch Markus Keuschnigg bestätigt: „Serien wie diese kombiniert mit den großen Kinoerfolgen von Filmen wie ,The Conjuring' oder ,Get Out' scheint mir ein ausreichender Beweis dafür, dass sich die Menschen nach wie vor sehr gerne gruseln.“