Mit seiner aufsehenerregenden Kunst und als Aktivist wurde Ai Weiwei weltbekannt. Er äußert sich politisch, kämpft für Menschenrechte, und seit einiger Zeit ist auch die Flüchtlingskrise ein wichtiges Thema für ihn. Mit Spannung wurde deswegen seine Dokumentation "Human Flow" erwartet, mit der es der 60-jährige Chinese erstmals in den Wettbewerb eines der wichtigsten Filmfestivals geschafft hat.
Am Freitag war es dann so weit: "Human Flow", eine deutsche Ko-Produktion, wurde bei den Festspielen Venedig gezeigt - und enttäuschte. Ai und seine Teams drehten in mehr als 20 Ländern, besuchten Flüchtlingscamps in Griechenland, Frankreich, Kenia, Libanon und im Gazastreifen. Der 60-Jährige filmte an der Grenze zwischen den USA und Mexiko, Serbien und Ungarn. Mal zeigt er, wie Flüchtlinge auf dem Mittelmeer gerettet werden, mal fängt die Kamera aus der Luft die Dimensionen eines Lagers ein.
All dies verknüpft Ai mit Kurzinterviews von Helfern, die die katastrophale Situation in ihren Regionen beschreiben. Außerdem blendet er Schlagzeilen ein, zu denen auch Angela Merkels "Wir schaffen das" gehört. So entsteht ein Mosaik der vielen Schicksale und Krisen, die in ihrer Gesamtheit eines der drängendsten Probleme unserer Zeit sind.
"Wenn wir nur über Politik, Gesetze und technische Details sprechen, geht das am Thema vorbei", sagte Ai in Venedig. Stattdessen sei Menschlichkeit die Lösung. "Wir können alle bei uns selbst anfangen" - jeder könne etwas tun und helfen. Doch für den Film scheint Ais einziges Konzept die Dokumentation der vielen verschiedenen Flüchtlingsströme unserer Welt zu sein - eine Art Zusammenfassung der Bilder und Nachrichten der vergangenen Monate und Jahre. Wirklich Neues gibt es nicht.
Wie es den Flüchtlingen geht? Das deutet der Regisseur nur kurz an. Und was die Ursachen und Folgen dieser Krisen sind? Auch dafür ist in "Human Flow", trotz einer Länge von 140 Minuten, kaum Zeit. Stattdessen will Ai die unfassbaren Dimensionen dieser Flüchtlingsströme erfassen - und reißt im Endeffekt viel zu viel nur an und wird dem Thema nicht gerecht. Länder, Orte, Zahlen und Schicksale rauschen an den Zuschauern vorbei.
Fragwürdig ist auch, wie sich Ai selbst inszeniert. Schon einmal wurde heftig kritisiert, wie er das Foto des toten Flüchtlingsjungen Aylan am Strand von Lesbos nachstellte. Auch in "Human Flow" bleibt er nicht Beobachter hinter der Kamera, sondern lässt sich filmen: Wie er einem Flüchtling vom Boot hilft, wie er durch ein Lager läuft und wie er die jordanische Prinzessin Dana Firas interviewt.
Fahler Beigeschmack
In den meisten Fällen lenkt dies allerdings vom Thema des Films ab. Besonders ärgerlich und problematisch wird es, wenn Ai mit einem syrischen Mann die Pässe tauscht. Als der ihm auch sein durchnässtes Zelt anbietet, willigt Ai scherzhaft ein und schlägt dem Flüchtling einen Tausch mit seinem gerade gekauften Atelier in Berlin vor. Bei vielen Zuschauern in Venedig hinterließen Szenen wie diese einen fahlen Beigeschmack.
Natürlich ist dabei Ais eigenes Schicksal nicht vergessen: In seiner chinesischen Heimat wurde er verschleppt und inhaftiert, sein Pass wurde ihm abgenommen. 2015 konnte er nach Berlin ausreisen, wo er seitdem lebt und arbeitet. Trotzdem bleibt es seltsam, dass er sich in "Human Flow" so vehement ins Spiel bringt. Stattdessen hätte er dem Schicksal der Flüchtlinge auf andere Weise näher kommen sollen.