Ob beim Anstehen für ein Ticket oder auf dem roten Teppich: Locarno schwitzte. Da kam das neue PalaCinema gerade richtig. Im klimatisierten neuen Kinozentrum mit Golddach, das pünktlich zur Jubiläumsausgabe des Festivals (2. bis 12. August) fertig gebaut worden war, ließ es sich aushalten. Am Sonntag folgte dann endlich die ersehnte Abkühlung.
In Sachen Film ging es in den ersten fünf Festivaltagen nicht immer heiß zu und her. So lässt die ganz große Kinoentdeckung auf der Piazza Grande noch auf sich warten. Bei manch einem sorgte die Filmwahl des künstlerischen Leiters Carlo Chatrian gar für Stirnrunzeln. Kein Wunder, war die Piazza bisher noch nie ausverkauft: 6.800 Zuschauer waren laut Festivalangaben das Maximum, Platz hätten 8.000.
Am ehesten vermochte noch der Eröffnungsfilm der Französin Noémie Lvovsky, "Demain et tous les autres jours", zu überzeugen. Allerdings erhielt auch das poetische Werk über ein neunjähriges Mädchen, das mit einer manisch-depressiven Mutter lebt, durchwachsene Kritiken. Am morgigen Dienstagabend feiert unter freiem Himmel "Iceman", die deutsch-italienisch-österreichische Koproduktion von Felix Randau mit Jürgen Vogel als als Ötzi bekannt gewordener Steinzeitmensch, Weltpremiere.
Der internationale Wettbewerb um den Goldenen Leoparden hingegen wartete bisher mit einigen erstaunlich zugänglichen Filmen auf. Das palästinensische Werk "Wajib" von Annemarie Jacir ist eine gelungene Mischung aus Kammerspiel und Roadmovie: Vordergründig geht es um ein entfremdetes palästinensisches Vater-Sohn-Paar, zwischen den Zeilen jedoch wird viel erzählt über das alltägliche Leben der kleinen Leute angesichts des Konflikts im Nahen Osten.
"Lucky" geht ins Herz
Ins Herz schließt man auch "Lucky", den Protagonisten des gleichnamigen Spielfilms von John Carroll Lynch. Der inzwischen 91-Jährige Harry Dean Stanton spielt großartig einen alten, kauzigen Mann in einem US-Wüstenkaff, der sich vor dem nahenden Tod fürchtet - und seinen Ängsten mit philosophischen Exkursen begegnet. Was trocken klingt, sorgte an der Premiere für viel Gelächter. In einer Nebenrolle ist Lynchs Namensvetter, Regisseur David Lynch, zu sehen.
Überzeugen konnte am Samstag der Dokumentarfilm "Favela Olimpica" des Westschweizers Samuel Chalard. Das eindrückliche Lehrstück über die Vertreibung von Favela-Bewohnern vor den Olympischen Spielen in Rio lief im Rahmen der Kritikerwoche. Dort hatte am Sonntag auch Milo Raus Dokumentarfilm "Das Kongo Tribunal" Premiere.
In Locarno bleibt das ganz große Staraufgebot im Stile von Cannes meist aus. Am Freitag herrschte aber doch ein wenig Aufregung: Mit Oscarpreisträger Adrien Brody war ein Großer Hollywoods im Tessin zu Gast. Der 44-jährige US-Amerikaner nahm am Freitagabend auf der Piazza Grande den Leopard Club Award entgegen - zu Tränen gerührt. Er sei dankbar, tun zu können, was er liebe. Sein Dank galt in erster Linie seinen Eltern, die mit ihm das Festival besuchten. Brody gewann 2002 für seine Interpretation eines polnisch-jüdischen Pianisten in Roman Polanskis "The Pianist" einen Oscar. Zuletzt war er etwa in "The Grand Budapest Hotel" (2014) zu sehen.
Einen großen Auftritt auf der Piazza hatte am Donnerstagabend die französische Schauspielerin Fanny Ardant. Mit ihrer charmanten Rede vor der Premiere ihres neuen Films "Lola Pater" stahl sie dem eigentlichen Ehrengast des Abends - der deutschen Darstellerin Nastassja Kinski - schlichtweg die Schau. Ardant lobte die unglaubliche Atmosphäre auf der Piazza und gratulierte dem Publikum mit Galgenhumor dafür, in Locarno großartige Filme anzuschauen, die "niemals in großen Städten wie Rom oder Paris in die Kinos kommen werden".