Der sogenannte Migrationshintergrund, sagt Arman T. Riahi, ist in Österreich ein aufgebauschtes Thema - und noch immer mit negativen Zuschreibungen behaftet. Eben die geht der Regisseur in seinem Kinospielfilmdebüt "Die Migrantigen" gemeinsam mit seinen Hauptdarstellern und Co-Autoren Faris Rahoma und Aleksandar Petrovic humorvoll an. Beim Max Ophüls Filmfestival gab es dafür den Publikumspreis.

APA: Was bereits 2011 als Serie "Neue Wiener" angelegt war, läuft nun als Kinofilm an. War der Stoff von Anfang an als Komödie angelegt?

Arman T. Riahi: Das Vorgängerprojekt hat ein wenig den Nährboden geschaffen. Und als es gescheitert ist, haben wir uns konkret mit der Frage auseinandergesetzt: Wenn man einen Film über das Thema machen könnte, was wäre das? Die Essenz des Ganzen war für uns, sich ständig als etwas ausgeben zu müssen, das man nicht ist, um öffentlich einer bestimmten Erwartung zu entsprechen. Der ursprüngliche Impuls war: Ich muss einen auf Ausländer machen, obwohl ich eigentlich der ärgste Wiener von allen bin. Es war immer klar, dass es eine Komödie wird, weil es zu viele Sozialdramen zu diesem Thema gibt. Und die Kritik, die wir in diesem Film schön mit Masche und Geschenkpapier verpackt haben, ist für die Leute viel einfacher zu schlucken, wenn sie darüber lachen können, als wenn sie das als Vorwurf ins Gesicht geschlagen bekommen. Man kann den Kinobesuchern nicht vorwerfen, dass es so ist - es ist ein gesellschaftliches Problem.

APA: "Die Migrantigen" füllt zugleich eine Lücke im österreichischen Kino, die es etwa in Deutschland oder Frankreich nicht gibt: Dort übernehmen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund schon lange Hauptrollen, auch in (oft seichten) Komödien.

Riahi: Wir wollten auf keinen Fall eine seichte Komödie machen. Gute Komödien sind in ihrem Kern immer ernst und dramatisch. Andernfalls wird es etwas Oberflächliches - das, was die Amerikaner sehr oft machen, nur zur Unterhaltung und sobald du aus dem Kino draußen bist, weißt du nicht mehr, worum es geht. In Österreich hatten wir keine Vorgänger-Projekte in dem Sinn. Das, was es gab, hat für uns nie so wirklich funktioniert. Es gibt super Filme wie "Ziemlich beste Freunde" und es hat in Deutschland auch ein paar lustige "Migranten-Komödien" gegeben - so nennen sie unseren Film jetzt auch, obwohl es ein extrem österreichischer Film ist: Unsere Hauptfiguren sind Wiener durch und durch. Emotional haben wir uns an englischen Arbeiterkomödien wie "Brassed Off" oder "Ganz oder gar nicht" orientiert, aber es ist ein voller Wien-Film.

APA: Welche Folgen hat so ein Fehlen an Vorbildern?

Riahi: Es trägt schon dazu bei, dass sich die Menschen nicht wahnsinnig mit Österreich identifizieren können, fürchte ich. Wir sind - ich sage nicht "integriert", sondern - inkludiert in die Gesellschaft, weil wir schon Vorbilder in unserem Umfeld hatten. Ich hatte immer meinen Bruder (Arash T. Riahi, Anm.), der Filme gemacht hat, also dachte ich, ich kann auch Filme machen. Es hat Arabella Kiesbauer gegeben, Claudia Unterweger auf FM4 oder Michael Niavarani, aber die Ausnahmen bestätigen die Regel. Wenn du nicht siehst, dass du das machen könntest, kommst du auch nicht auf die Idee. Das war auch ein Grund, warum wir diesen Film gemacht haben. Wir wollen der zweiten und dritten Generation zeigen: Da ist ein Typ, der heißt Petrovic, schreibt am Drehbuch mit und spielt die Hauptrolle im Film und nicht den kriminellen Ausländer im "Tatort". Diese Vorbildfunktion ist in allen Belangen wichtig.

APA: Benny und Marko kommen im Film zur Erkenntnis, in ihrer Bobo-Blase den Bezug zu anderen Lebensrealitäten verloren zu haben. Ist es Ihnen bei der Vorbereitung zum Film ähnlich ergangen?

Riahi: Wir hatten eine ähnliche Erkenntnis, als wir "Schwarzkopf" gedreht haben, meine erste Kinodoku, bei der die beiden (Rahoma und Petrovic, Anm.) manchmal Regieassistenz gemacht haben. Der Film hat im Jugendlichen-Milieu in den Randbezirken recherchiert - da, wo Nazar herkommt und wir aufgewachsen sind, in Favoriten. Da war plötzlich die Situation, dass wir, im siebenten oder vierten Bezirk wohnend und arbeitend, vor einem 15-Jährigen standen, der schon einmal jemanden abgestochen und ein Jahr im Gefängnis verbracht hat. In dem Moment dachten wir uns: Diese Kids gibt es und die haben dieses Leben, und das ist auf Schiene durch das, was passiert ist. Die haben eine andere Sozialisation, obwohl wir oft den ähnlichen Anfang hatten. Das ist natürlich etwas, das in "Die Migrantigen" eingeflossen ist - die Figur des Juwel (gespielt von Mehmet Ali Salman, Anm.) ist einer dieser Kids, zehn Jahre danach. Und wir kennen das ja alle, auch wenn wir viel behüteter aufgewachsen sind. Ich habe trotzdem die Hälfte meiner Zeit draußen im 15. und 10. (Bezirk) verbracht, skatend oder was auch immer. Aber unsere Eltern haben aufgepasst, dass wir nicht dorthin kommen; wir sind in einem intakten sozialen Umfeld mit intakten menschlichen Beziehungen aufgewachsen, das macht den Unterschied.

APA: Sie sind im Iran geboren, aber in Österreich aufgewachsen. Gab es einen Punkt, an dem Ihnen Ihr Migrationshintergrund und die negativen Zuschreibungen, die damit einhergehen, bewusst geworden ist?

Riahi: Es hat den Punkt gegeben, an dem mir klar wurde: Ich bin ein bisschen anders. Wenn es nur dabei bleiben würde, dass man anders ist... Aber es wird so oft darüber geredet, so viel mehr als in anderen Gesellschaften, sodass wir eigentlich "Migrationsvordergrund" sagen müssten. Sogar wenn du wie Aleksandar nicht wie ein "Ausländer", also der klassische südländische Typ, aussiehst, heißt du trotzdem Petrovic und schreibt man deinen Vornamen mit "ks". Es wäre schön, in einer Gesellschaft zu leben, in der es stattdessen Thema ist, was du tust und wie du zur Gesellschaft beiträgst oder eben nicht beiträgst. Nicht, wo du herkommst. Denn das ist die Grundlage für Nationalismus, dafür, dass die Kids, die hier aufwachsen, sagen, sie sind Türken und keine Österreicher. Sicher sind sie Österreicher, aber sie können sich nicht damit identifizieren, weil alle ständig davon reden, dass sie anders sind.

Wenn wir als Kinder im 15. gespielt haben und mal zu laut waren, ist schon mal ein Typ gekommen, hat mich gepackt und gesagt: "Geh heim nach Istanbul, du Tschusch." Man darf nicht die Augen davor verschließen, dass man in einem relativ fremdenfeindlichen Land lebt. Natürlich haben wir das alles in unseren sozialen Blasen hinter uns gelassen, glauben, es sei anders als früher. Aber jetzt gibt es andere Opfer, die Flüchtlinge. Es gibt für jeden mit sogenanntem Migrationshintergrund diesen Punkt, an dem er sieht, dass er anders ist. Und es hängt vom sozialen Umfeld ab, ob sich die Person negativ oder positiv entwickelt. Wir waren immer froh, dass wir eine zweite Kultur haben. Es ist im Leben der Menschen kein so ein großes Thema, wie es in der Öffentlichkeit aufgeblasen wird.

APA: Tatsächlich wird medial - wie Sie es auch in "Die Migrantigen" zeigen - viel nur über Schlagwörter transportiert.

Riahi: Und es werden immer alle in einen Topf geworfen. Kaum jemand kann sagen, was Integration überhaupt heißt. Was ist Migrationshintergrund? Den haben, wenn man es genau nimmt, alle Wiener. Der Wiener is a Tschusch - das ist der Migrationshintergrund. Es wird mit Begriffen herumgeworfen, die vom Start weg problematisch sind, weil sie nicht richtig definiert wurden.

APA: Sie haben das Drehbuch verfasst, noch bevor vom postfaktischen Zeitalter die Rede war und "Fake News" sich rasant verbreiteten. Waren Sie überrascht, wie sehr die Medienkritik im Film an Aktualität gewonnen hat?

Riahi: Wir waren sehr überrascht. Dass das in unserem Film Thema ist und nun real eskaliert, hat aber schon damit zu tun, dass es diese Tendenz immer schon gegeben hat. In der "Kronen Zeitung"-Redaktion sitzen ja nicht lauter FPÖ-wählende, wahnsinnige Fundamentalisten, da ist nicht jeder wie Michael Jeannée. Sondern die wissen: Wenn sie die "Ausländer-Schlagzeile" machen, verkaufen sie Zeitung. Das ist das Gesetz des Marktes. Aber das ist ein Problem. Wenn Medien nur noch davon abhängig sind, Quote zu machen, ist irgendwann die Wahrheit das erste Opfer. Es ist nicht schwarz-weiß. Im Film bekommen alle ihr Fett ab und gewinnen auch bis zu einem gewissen Grad.

APA: Wen soll "Die Migrantigen" im Idealfall erreichen?

Riahi: Ich hoffe, dass ihn so viele Menschen wie möglich sehen. Beim Max-Ophüls-Preis hatten wir sechs ausverkaufte Vorstellungen, in den USA (beim Nashville Film Festival, Anm.) haben wir einen Publikumspreis bekommen. Der Film spricht ein breites Publikum an und das ist es, was ihn zu einem Erfolg macht - wenn er ein Erfolg wird. Die Bobos, die zum Bilderbuch-Konzert gehen, können genauso ins Kino gehen wie die Österreicher, die den Danzer lieben und die Kids aus dem 10., die Bushido mögen. Das ist ein breit gefächertes Ding und ich hoffe, dass wir einen Achtungserfolg landen beim Publikum.