"Woher kommt ihr?", ist die erste Frage, die Reporterin Marlene den eingefleischten Wienern Marko und Benny stellt. Wer in Österreich einen ausländischen Namen trägt oder südländisch aussieht, weiß Arman T. Riahi, muss sich immer wieder erklären. Ein Umstand, den der Regisseur in seiner bissigen Komödie "Die Migrantigen" gleichermaßen ankreidet und durch den Kakao zieht. Ab Freitag im Kino.
Benny (Faris Rahoma) und Marko (Aleksandar Petrovic) sind Bobos, wie sie im Buche stehen: Ihren Lebensmittelpunkt haben sie in einem voll gentrifizierten Wiener Bezirk, ihr Geld geben sie für abendliche White Russians und maßgefertigte Fahrräder aus. Ihr sogenannter Migrationshintergrund spielt für die besten Freunde keine Rolle - warum auch? -, Benny sind die ägyptischen Wurzeln nur äußerlich anzusehen.
Dennoch werden sie immer wieder auf ihr vermeintliches Fremdsein reduziert: Benny, Sohn einer pensionierten Richterin (Margarethe Tiesel) und strauchelnder Schauspieler, hat gerade wieder eine Rolle abgelehnt, weil der überhebliche Casting-Direktor (Josef Hader) ihn nicht als Hauptfigur Moser, sondern als arabischen Taxifahrer Omar besetzen wollte. Und Marko, werdender Vater mit mäßig erfolgreicher Werbeagentur, ging soeben ein lukrativer Deal abhanden, weil sich der Vertreiber von Hipster-Limonade (Dirk Stermann) "was Geileres, was Tschuschenhaftes" von ihm erwartet hat.
Als die beiden eines Tages Markos Vater Bilic (Zijah A. Sokolovic) im Gemeindebau im ethnisch durchmischten fiktiven Grätzel Rudolfsgrund besuchen, wird die TV-Journalistin Marlene Weizenhuber (Doris Schretzmayer) auf sie aufmerksam. Weil die für eine Reportage über den "sozialen Brennpunkt" authentische Protagonisten (sprich: Sozialfälle) sucht, geben sich Benny und Marko spontan mit Gangster-Posen und gebrochenem Deutsch als abgebrühte Kleinkriminelle Omar ("Sharif, wie der Schauspieler") und Tito aus. Das kommt nicht nur bei der sensationshaschenden Reporterin, sondern auch bei den Zusehern gut an: Die Reportage wird ein Quotenhit und zur Dokuserie ausgebaut.
Benny sieht die Chance auf den schauspielerischen Durchbruch und Marko die Möglichkeit, sich aus seinem finanziellen Dilemma zu befreien. Also spinnen sie die abstruse Story weiter, heuern den Grätzel-Bewohner Juwel (Mehmet Ali Salman) an, damit er ihnen zeigt, "wie Ausländer halt so sind". Es dauert nicht lange, bis das aus Klischees gespeiste Lügenkonstrukt die beiden einholt und Auswirkungen auf das reale Zusammenleben im Bezirk hat.
"Die Migrantigen" (ein grandioser Titel, der auch im Englischen funktioniert: "Migrumpies") zeigt spielerisch, aber im Kern höchst relevant, wie aufgeheizte Stimmung und Parallelgesellschaften entstehen. Fremdenfeindliche Zuschreibungen, Schubladisierungen und Klischeebilder werden humorvoll aufgegriffen und korrigiert; pointierte Medien- und Gesellschaftskritik sowie die Botschaft, Vorgefertigtes zu hinterfragen, sind in rasantes Tempo und markige One-Liner verpackt, die Figuren durchwegs naiv, aber äußerst liebenswert und vielschichtig gezeichnet. Im Laufe von 90 kurzweiligen, höchst unterhaltsamen Minuten werden nicht nur diese eines Besseren belehrt - sondern der Kinobesucher gleich mit.
Riahi, der das Drehbuch gemeinsam mit seinen beiden Hauptdarstellern basierend auf eigenen Erfahrungen geschrieben hat, füllt so eine Lücke im österreichischen Kino, sind hier doch (anders als etwa in Deutschland oder Frankreich) Menschen mit Migrationshintergrund und deren Geschichten kaum oder nur in immer gleichen, problematisierten Narrativen präsent. "Die Migrantigen" jedoch ist gelebte Diversität vor und hinter der Kamera - und zeigt Prominente wie Josef Hader, Margarethe Tiesel, Rainer Wöss und Dirk Stermann ausnahmsweise mal in (großartigen) Nebenrollen. Die großen Namen dürften helfen, manch Skeptiker ins Kino zu locken. Das Potenzial zum großen Publikumshit hat "Die Migrantigen" auch ohne sie.
Angelika Prawda/APA