Die Kamera fährt ganz groß auf einen Kater zu. Er ist der einzige Zeuge einer Vergewaltigung. Ein maskierter Einbrecher fällt brutal über Michèle (Isabelle Huppert) her. Später rügt Michèle ihren Kater. Warum er den Eindringling nicht wenigstens gekratzt habe?
Diese Frau („elle“ heißt im Französischen „sie“) ist die offensichtlich wohlhabende Chefin einer Firma, die Videospiele entwickelt. Ihre Mutter macht mit einem viel jüngeren Typen herum, ihr Sohn dürfte auch nicht die hellste Kerze auf der Geburtstagstorte sein. In der Firma gibt es zielstrebige Speichellecker und ganz normale Ungustln. Und für den Gefühlshaushalt hält sich Michèle einen Geliebten namens Robert (Christian Berkel), Ehemann ihrer besten Freundin und Geschäftspartnerin Anna (Anne Consigny). Schließlich erzählt sie im trauten Kreis von der ein paar Tage zurückliegenden Vergewaltigung. Die Frage, ob sie bei der Polizei war, verneint sie und fügt hinzu, dass sie das auch nicht vorhabe. Ihr Plan ist ein ganz anderer ...
Diese Michèle ist eine nicht greifbare Figur. Und wie Huppert sie spielt – einfach sensationell! Meint man, einen psychologischen Zipfel dieser Frau in der Hand zu haben, entwindet sie sich wieder mit einer anderen Facette. Sie scheint weniger an der Vergewaltigung selbst zu leiden, sondern daran, dass jemand ihr – der Kontrollsüchtigen – den Boden unter den Füßen weggezogen hat.
Neuer Film nach zehn Jahren
Zehn Jahre nach dem Widerstandsdrama „Black Book“ hat Paul Verhoeven wieder einen Film gedreht. 27 Preise und Nominierungen ergatterte dieser bisher. Der Streifen des niederländischen Regisseurs besticht nicht nur durch die grandiose Hauptdarstellerin, die auch Chancen auf einen Oscar hat, sondern auch durch das ausgebreitete Panorama.
Reinhold Reiterer