Herr Seidl, wieso machen Sie einen Film über Menschen, die zum Töten in die Ferien fahren?
ULRICH SEIDL: Mich hat interessiert, warum Leute im Urlaub jagen: Was empfinden sie dabei, wie äußert sich das emotional?
Erstaunlicherweise fiebert man auch als nicht jagdaffiner Zuseher anfangs fast mit den Jägern mit.
SEIDL: Der Film ist auch nicht dazu da, eine Abneigung gegen die Jäger zu erzeugen. Man soll sich mit dem Thema auseinandersetzen und versuchen zu verstehen, was da passiert.
Immer wieder fragt man sich in Ihren Filmen: Warum lassen sich die Leute von Ihnen so ins Leben hineinschauen?
SEIDL: Weil ich Zugang zu Menschen finde. Mein Anliegen ist es ja, Leute zu finden, die zudem stehen, was sie denken, sagen, tun. Auch bei den Jägern war das so.
Sie haben sogar eine ganze jagende Familie aufgetrieben.
SEIDL: Diese Familie war ein Glücksfall – zu sehen, wie die sich nach dem Schuss küssen, umarmen, beglückwünschen. Wie das Schießen auf Tiere den Zusammenhalt zwischen Mutter, Vater, Tochter, Sohn stärkt.
Alle Mitwirkenden sind gecastet und gebrieft?
SEIDL: Natürlich. Und jeder kann sich vorab meine Filme anschauen, vielen gefällt das auch. Die Leute, die meine Filme lieben, kommen ja nicht alle aus einer bestimmten Bildungsschicht. Auch die Darsteller in „Safari“ haben den Film inzwischen gesehen und sind ganz zufrieden damit.
Im Film kommen Jäger, Jagdführer, Lodgebetreiber zu Wort. Aber kein einziger der schwarzen Jagdhelfer.
SEIDL: Das ist eine bewusst so getroffene Entscheidung. Weil man damit mehr sagt, als wenn man sie zu Wort kommen lassen würde. In der Reduktion liegt sehr oft die Wahrheit. Und es ist ja so: Diese Leute haben nichts zu sagen. Obwohl sie sich in der Natur viel besser auskennen, sind sie allen anderen untergeordnet und leben in ärmsten Verhältnissen.
Sie erzählen oft eine Geschichte durch eine andere. Dreht sich „Safari“ gar nicht um die Jagd, sondern um den Kolonialismus?
SEIDL: Nein, es ist ein Film über die Jagd. Aber es geht um Geld, Besitz, Hierarchien. Auch das Verhältnis zur Vergangenheit spielt eine Rolle, insofern ist das eine koloniale Situation.
In einer Szene zeigen Sie, wie weiße Lodgebetreiber auf ihren rassistischen Vorurteilen herumkauen. Sie würden sie sichtlich gern aussprechen, aber halten sich zurück, weil sie wissen, das käme nicht gut an.
SEIDL: In der Szene war noch mehr drin, viel mehr. Die Frage ist, ob das in den Film, in den Ablauf passt. Ich wollte hier das Rassismusthema nicht abhandeln, aber ansprechen. Und man kann sich seinen Teil dazu denken.
Wird das Fleisch der geschossenen Tiere eigentlich gegessen?
SEIDL: Ja.
Von wem?
SEIDL: Von den Leuten auf der Jagdlodge. Auch von den Gästen und den Schwarzen. Die kriegen vor allem das Fleisch, das die Weißen nicht essen. Und wenn zu viel da ist, wird das Fleisch verkauft.
Wie schmeckt so eine Giraffe?
SEIDL: Habe ich nicht gegessen.
Sind das alles überhaupt Wildtiere?
SEIDL: Die Farmen sind so groß, dass man es sich gar nicht vorstellen kann, aber es ist alles eingezäunt. Es gibt da angestammte Tiere und Tiere, die man eigens für die Jagd züchtet.
Beachtlich ist ihre Größe. Das sieht man in „Universum“ nie.
SEIDL: Das macht wohl auch ihren Reiz aus. So ein großes Tier zu töten – dagegen ist das Haserlschießen wahrscheinlich keine Aufgabe für einen ehrgeizigen Jäger.
Eine bedrückende Szene zeigt, wie eine angeschossene Giraffe langsam stirbt. Glücksfall für den Filmemacher, da dabei zu sein?
SEIDL: Ein Glücksfall ist alles, was das wahre Geschehen zeigt und auf den Zuseher emotional wirkt. Es passiert ja oft, dass ein Tier nicht sofort tot ist, flüchtet, nachgesucht werden muss. Nur sieht man das üblicherweise nicht.
Man hat den Eindruck, dass die Jagdführer die Jagdgäste zurückhalten. Die sollen gar nicht miterleben, wie das Tier im Sterben zuckt. Und nachher kann man unbehelligt ein schönes Jagdfoto machen.
SEIDL: Den Eindruck hatte ich auch oft. Aber ein Jagdführer hat das so begründet, dass man dem Tier Zeit zum Sterben geben soll.
Die letzte Szene im Film zeigt Jagdhornbläser im europäischen Wald. Abschließender Kommentar oder Verweis auf ein Sequel?
SEIDL: Das ist die Klammer. Ein Hinweis, dass es Jäger nicht nur in Afrika gibt. Die Jagd beginnt bei uns und endet bei uns.
Die Jagdsprache spielt eine große Rolle in dem Film. War dieses Vokabular auch für Sie neu?
SEIDL: Ich wusste, dass Blut „Schweiß“ genannt wird. Neu war für mich, dass man das Tier nicht beim Namen nennt, sondern als „Stück“ versachlicht.
Tierschützer haben sich bisher noch nicht zum Film geäußert.
SEIDL: Das kann ja noch kommen. Dass „Im Keller“ wegen dieser Geschichte mit dem Nazi-Keller (Anm.: Zwei ÖVP-Politiker, die im Film in einem mit Nazi-Devotionalien staffierten Keller zu sehen waren, mussten zurücktreten) so skandalös wurde, konnte man auch nicht voraussehen. Aber „Safari“ dürfte ein Film geworden sein, in dem beide Seiten das sehen, was sie vertreten. Die Jäger werden sagen: Ja, so ist die Jagd. Und die Tierschützer werden sagen: Gut, dass diese Grausamkeit einmal gezeigt wird.
Und die Kritiker werden sagen: Seidl bezieht nicht Position.
SEIDL: Das ist auch nicht meine Aufgabe. Natürlich liegt meine Sicht der Dinge in jedem meiner Filme. Aber wenn ich als Jagdgegner einen entsprechenden Film drehe, hole ich ja nur das ein, was ich eh schon weiß. Und ich finde, wenn man gegen die Jagd ist, muss man in Zeiten wie diesen auch gegen die Massentierhaltung sein. Die ist das noch größere Tabu und das noch größere Verbrechen. Man darf nichts davon filmen, das sind quasi militärische Sperrzonen. Nicht umsonst müssen Tierschützer besitzstörend eindringen, um das zeigen zu können. Dass man dagegen nichts unternimmt, muss die Gesellschaft verantworten.
Ist das ein Thema, das Sie künstlerisch aufgreifen möchten?
SEIDL: Das ist ein journalistisches Thema, da müsste man medial und politisch daran arbeiten.
Daran wird nicht gern gerührt.
SEIDL: Man darf das Töten eines Tieres im Film keinesfalls zeigen. Da gehen die Emotionen hoch. Aber jede Art von Gewalt gegen Menschen geht. Wir haben einen Trailer für den ORF gemacht, da mussten wir eine Szene herausnehmen, in der eine frische Zebrahaut zu sehen ist. Arte hatte als Koproduktionspartner größte Bedenken, sich an einem Film zu beteiligen, in dem Tiere erschossen werden. Das will man dem Zuschauer offensichtlich nicht zumuten. Ich halte das für fehlgeleitetes politisch korrektes Denken. Wenn man Zustände ändern will, muss man sie bewusst machen. Und dafür muss man sie zeigen. Sonst passiert gar nichts.
Ist es auch ein Zeichen unserer Angst vor dem Tod, dass wir das Sterben eines Tieres nicht sehen wollen?
SEIDL: Ich weiß keine Antwort darauf, warum die Sensibilität im Fall eines sterbenden Tieres so hoch ist. Und bei sterbenden Menschen offensichtlich nicht, wenn man sich anschaut, welche Gewaltorgien tagtäglich über unsere Bildschirme flimmern. Ich weiß nicht, entweder ist der Mensch gegen seine eigene Art empfindungslos oder er braucht das Tier als Rettungsanker. Als Symbol dafür, dass alles gut wird.
Ute Baumhackl