Andrea überfährt ihren Ehemann Andreas; unabsichtlich, nachts auf einer brettlebenen Straße. Sie wollte sich eh trennen. Und begeht Fahrerflucht. Er wollte sich bei der Geburtstagsparty beim Dorfwirt des Vertrauens noch mit ihr versöhnen, bevor er fetzendicht davon stapfte. Weil: Eigentlich ist die resolute Dorfpolizistin (wunderbarst verkörpert von Birgit Minichmayr) auf dem Sprung in die Metropole (sic!) St. Pölten. Um aus der Provinz im Weinviertel irgendwo zwischen Stronsdorf und Unterstinkenbrunn auszubrechen, neu anzufangen. Weg von Tierärzten, die man auf dem Weg zu einer kalbenden Kuh fürs zu Schnell-Fahren abstrafen muss. Weg davon, verzweifelte Landwirte vor dem Suizid retten zu müssen.

Wäre das nicht Stoff genug für ein packend-tragisches Drama, erklärt sich jemand anderer schuldig für den Unfall mit Todesfolge. Ein depressiver, einsamer Religionslehrer und trockener Alkoholiker; eindringlich gebückt verkörpert von Josef Hader. Er wolle büßen, sagt dieser Franz Leitner. „Wos woll‘n Sie?“, entfährt es Andrea. Was für ein Ausgangspunkt! Was für ein Schauspiel-Duo!

Der Kabarettist, Schauspieler und Drehbuchautor Josef Hader ist für seine zweite, soeben bei der Berlinale uraufgeführte und bejubelte, Regie-Arbeit „Andrea lässt sich scheiden“ tief in die österreichische und vielleicht prototypische Provinz eingetaucht; mitsamt Stammtisch-Hierarchien, dörflichen Kommentaren von immer jeder und jedem, Kreisverkehren mit überdimensionalen pinken Zwiebeln, die in der Nacht funkeln, altbackenen Altherrenwitzen und den typischen trostlosen Straßendörfern. Erzählt wird freilich eine universelle Geschichte über Schuld, Sühne, Gewissen und die ewige Suche nach Selbstbestimmung. Soll Andrea sich und Franz mit der Wahrheit erlösen? Oder weiterziehen in ihrem Leben und all das Gewesene zurücklassen? Kann sie unbehelligt einfach so weitermachen?

Rund um diese Kernfrage fächert Haders Zweitling nach „Wilde Maus“ eine rurale Typenparade mit dem Who-is-Who der heimischen Schauspielszene auf, die wie aus der Zeit gefallen scheint: Underdog Thomas Schubert mimt Andreas unerfahrenen Kollegen bei der Polizei, Branko Samarovski ihren Vater, Maria Hofstätter die Disco-Flamme von Franz Leitner, Robert Stadlober den neuen Vorgesetzten in St. Pölten. Dazu sind alle Kleinstrollen bravourös besetzt – u.a. mit Marlene Hauser, Michael Edlinger, Thomas Stipsits.

Tieftraurig, melancholisch, aber auch widerborstig zeichnet Publikumsliebling Hader seine Figuren, die lakonischen Dialoge sitzen sowieso. Und Birgit Minichmayr weigert sich in der Rolle dieser einsamen Auto-Reiterin in einer verwahrlosten Prärie, den Erwartungen an eine Frauenbiografie in der Peripherie zu beugen. Der Humor, er bleibt zwischen tiefem Horizont und Landstraßenromantik, oft im Hals picken. Großes, tragikomisches und aufrichtiges Kino aus Österreich. Mitsamt Liebeserklärung an die geliebte und gehasste Provinz. ●●●●○