Wer da keine Gänsehaut bekommt, der hat kein Herz: Wenn Konstantin
Wecker ins Mikro klagt: „Die ich liebe, ist schön, ist unsagbar
schön. Ich seh sie vor mir in ihrem Sommerkleid. Mit einem Kamm im dunklen Haar. Man hat sie fortgebracht, und keinersieht, wie schön sie  ist. Man hat sie fortgebracht, und keiner weiß, wohin.“

Es ist das „Lied der Lieder“ aus der „Mauthausen-Kantate“,
einem Zyklus von vier Liedern des griechischen Komponisten
Mikis Theodorakis. Die Texte stammen auch von einem Griechen,
dem Dichter Iakovos Kambanellis, einem Überlebenden
des Konzentrationslagers Mauthausen, dem dort die
Nummer 10.205 in den Arm tätowiert wurde.

Kambanellis erzählt von der Liebe zwischen einem griechischen Gefangenen und seiner jüdischen Angebeten inmitten der Gräuel im Lager. Konstantin Wecker hat das „Lied der Lieder“ schon oft gesungen, einmal war auch Theodorakis dabei. Morgen stimmt er es beim „Fest der Freude“ auf dem Wiener Heldenplatz an (siehe Factbox), unterstützt wird er dabei von den Wiener Symphonikern.

Zeitzeugin Anna Hackl
Zeitzeugin Anna Hackl © APA/HANNES DRAXLER

Seit je erhebt Konstantin Wecker, der am 1. Juni 76 Jahre alt
wird, seine Stimme gegen Krieg und Gewalt. In München wuchs
er in einer Musikerfamilie auf, mit sechs Jahren lernte er das
Klavierspielen, und er schrieb schon als Teenager Songs, für
die er sich auch Jahrzehnte später nicht zu genieren braucht.
Den Durchbruch schaffte er 1977 mit der Ballade „Willy“.
Der Einsatz für Frieden und der Kampf gegen Faschismus prägten
ihn weiterhin.

Im Vorjahr veröffentlichte der bayerische Musiker sein 26. Studio-Album, viele seiner Lieder sind lange schon Kult: „Genug ist nicht genug“ und „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ sind Songs für die Ewigkeit, es ist der Sound einer ganzen Generation. Weckers jüngstes Album heißt „UTOPIA“ – ein Begriff, an dem der Vater von zwei Söhnen hängt.

Eine Utopie ist die Beschreibung einer Idee, die irgendwann verwirklicht werden muss. In jungen Jahren wurde er von Mitschülern dafür Spinner genannt, später galt er als Träumer. Heute wird er als bürgerlicher Linker ins Eck gestellt. Wecker bleibt bei Utopist und Pazifist: „Das erscheint mir heute wichtiger denn je. Ernst Bloch hat doch ganz genau erklärt, wie wichtig die Hoffnung ist. Und selbst für denjenigen, der weiß, dass er die Verbesserung zu Lebzeiten nicht mehr erleben wird“, erklärt er uns im Gespräch am Telefon.

Als „wirkliches Glück“ und „Geschenk des Himmels“ empfindet er es, dass seine Eltern „keine Nazis waren. Für einen 47er-Jahrgang war das eine Seltenheit in Deutschland“, sagt er. Bei so vielen seiner Schulkameraden seien die Jahre von 1939 bis 1945 aus Scham totgeschwiegen worden, „aber ich konnte mit meinen Eltern schon als kleiner Junge darüber reden.“

Weckers Vater hatte den Kriegsdienst verweigert und „durch ein Wunder überlebt, weil der Oberst, der ihn eigentlich an die Wand hätte stellen müssen, ihn ins Irrenhaus gesteckt hat.“ In der 68er-Revolte musste Wecker somit nicht gegen die Eltern demonstrieren, er konnte „mit den Eltern demonstrieren“, die zwar nicht Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg waren, „aber sie widerstanden und waren noch nicht einmal Mitläufer.“

Wecker engagierte sich früh in der Friedensbewegung und skandierte Slogans wie „Frieden schaffen, ohne Waffen“ und „Stell’ dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“ Die „Wickie, Slime und Paiper“-Generation trug diese Sticker wie Orden auf den Jeans-Latzhosen.

Dass sich Konstantin Wecker zu Beginn des Ukraine-Kriegs gegen Waffenlieferungen nach Kiew ausgesprochen hatte, brachte ihm viel Kritik ein. Sein Gegenargument: „99 Prozent derjenigen, die so vehement für Waffen eintreten, ziehen nicht in den Krieg. Die schicken andere an die Front. Das macht mich so wütend.“

Außerdem „gab und gibt es eine pazifistische Bewegung in der Ukraine – wie auch in Russland. Diese Ukrainer gingen mit weißen Fahnen auf die Panzer zu. Und sie wurden nicht überrollt, die Panzer drehten ab“, erklärt Wecker, der „zum dritten oder vierten Mal“ Stefan Zweigs „Die Welt von gestern“ liest: „Der Roman erinnert mich so unglaublich an die heutige Zeit“, sagt er. Nachsatz: „Leider.“