An Teodor Currentzis scheiden sich schon künstlerisch seit jeher die Geister. Gut so. Ungeschiedene Geister gibt es ja eh zur Genüge. Neben dem künstlerischen gibt es spätestens seit dem Vorjahr aber auch den politischen Aspekt seines Tuns. Der aus Athen stammende Dirigent, der seit 2014 auch die russische Staatsbürgerschaft besitzt, schweigt nämlich seit Beginn des Ukraine-Krieges eisern zu den Aggressionen Russlands.
Seine Nicht-Reaktion deuten die einen so, die anderen so: Currentzis schütze sich, sein Ensemble musicaAeterna und deren Familien und Angehörige vor etwaigen Repressalien, würde er sich von seiner Wahlheimat distanzieren. Currentzis sei auf einem Auge blind, habe nur die hehre Kunst im Auge und reagiere auf das Weltgeschehen mit Gleichgültigkeit. Neben heftigen Debatten gab es in dieser Causa auch etliche Konzert-Ausladungen.
Zusätzliches Wasser auf die Mühlen jener, die an seiner Haltung zweifeln, sind die vermehrten Konzerte, die Currentzis in Russland gibt. Ein „Tristan“ scheiterte im Herbst noch an Solisten aus dem Westen, wie Startenor Klaus Florian Vogt, die nicht in eine ideologische Falle tappen wollten. So dirigierte er stattdessen in Moskau und St. Petersburg (und danach in einigen deutschen Städten) Verdis Requiem.
Wer auf die aktuelle Agenda von Currentzis schaut, sieht vor einer Spanien-Tournee mit musicAeterna Anfang Mai Aufführungen von Gustav Mahlers 9. Symphonie in St. Petersburg und Moskau und im Juni ein Tschaikoswky-Programm, zwei Mal angesetzt an seiner früheren langjährigen Wirkungsstätte Perm in Sibirien.
Wie halten es die heimischen Veranstalter derzeit mit dem umstrittenen Künstler? Das Wiener Konzerthaus hat in der laufenden Saison einen eigenen, vierteiligen Currentzis-Zyklus. Den Abschluss bildet im Juni Mahlers 3. Symphonie mit Currentzis’ neuem Orchester „Utopia“ – ein Ensemble aus 112 Solisten und Konzertmeistern aus 28 Ländern, unterstützt von der „Kunst und Kultur DM Privatstiftung“ des verstorbenen Dietrich Mateschitz. Der Zyklus war schon vor dem Ukraine-Krieg vereinbart, aber das Konzerthaus hält fest, dass es Künstlern und Künstlerinnen oder Einrichtungen, die sich solidarisch mit dem von Putin initiierten Krieg zeigen oder zur Legitimation des Regimes beitragen, keine Bühne bietet.
Intendant Matthias Naske, der vor vier Wochen seinen nächsten Spielplan vorstellte, betont auf unsere Anfrage: „Während der Krieg nun schon über ein Jahr lang unerträgliches Leid in die Welt bringt, hat sich Teodor Currentzis bis heute nicht öffentlich dazu geäußert. Da er sowohl in Russland als auch in westlichen Konzertsälen dirigiert, verstärkt sein Schweigen die politische Dimension jedes öffentlichen Auftritts dieses Musikers. Wir haben uns daher dazu entschlossen, auf Engagements von Teodor Currentzis ab der Saison 23/24 bis auf Weiteres zu verzichten“.
Ganz anders sieht man das bei den Salzburger Festspielen, wo Currentzis heuer zwei Projekte mit seinem neu gegründeten „Utopia Orchestra“ laufen hat (siehe Kasten). Intendant Markus Hinterhäuser erklärte im Gespräch mit uns, dass sich an seiner schon im Vorjahr mehrfach geäußerten Einstellung nichts Wesentliches geändert habe und er damit bei der Solidarität mit dem Stardirigenten bleibe. „Teodor Currentzis und die Musikerinnen und Musiker seines Ensembles musicAeterna leben, proben und arbeiten – im Gegensatz zu den Mitgliedern seines Utopia Orchestra – zum Teil in Russland. Man kann keinem verbieten, seinen Beruf auszuüben. Und anders als etwa bei Valery Gergiev sind mir bei Currentzis keinerlei Verbindungen zu Putin bekannt.“
Der Krieg sei und bleibe grauenvoll, aber diese Diskussion laufe ins Leere: „Currentzis ist weder Wagner-Söldner noch Putins Propagandaminister und hat sich auch mit keinem einzigen Wort für ihn ausgesprochen“. Wenn das so bleibt, sieht Hinterhäuser keinen Anlass, die Zusammenarbeit mit Currentzis zu beenden, der übrigens Anfang März von einer Kurie für das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst vorgeschlagen wurde.
Michael Tschida