Was bedeutet der Nestroy für die Produktion "Nicht sehen" für das Stadttheater Klagenfurt?
ARON STIEHL: Es ist ein riesiges Geschenk in dieser Zeit, die ja nicht gerade einfach ist. Die Inszenierung hat die Kärntnerinnen und Kärntner sehr bewegt, es sind viele Menschen ins Theater gekommen, die nicht zum typischen Theaterpublikum gehören. Und das Stück hat eine gesellschaftliche Diskussion ausgelöst über ein Thema, das noch immer ein Tabu war. Was der pädophile Kinderarzt Franz Wurst Hunderten Kindern angetan hat, war ja eine offene Wunde in diesem Land.

Das haben auch die Diskussionen im Theater gezeigt, oder?
Die Gespräche, die wir bei jeder Vorstellung angeboten haben, wurden sehr gut angenommen. Da kamen nicht nur Opfer zu Wort, was immer sehr berührend war, sondern auch Pfleger oder Krankenschwestern. Es wurden auch Gräben sichtbar – noch heute wollen ja nicht alle wahrhaben, was passiert ist. Aber vor allem gab es Menschen, die sich geöffnet haben. Das liegt natürlich auch an Regisseur Noam Brusilovsky, der sich im Vorfeld intensiv mit der Geschichte auseinandergesetzt hat. Er hat den Opfern zugehört und ihnen eine Bühne gegeben. Es war dieser sensible Umgang mit dem Thema, der die Menschen überzeugt hat.

Das zeigt auch die Kraft, die Theater entwickeln kann ...
... ja, und zwar, wenn es nah an den Menschen ist und für sie Relevanz hat. Dann kommen die Besucherinnen und Besucher auch wieder, vor allem aber diskutieren sie über die Stücke. Es muss nicht jedem gefallen, was auf der Bühne zu sehen ist. Aber wenn es etwas auslöst in den Menschen, dann haben wir gute Arbeit geleistet. Ich werde auch regelmäßig auf der Straße angesprochen und das zeigt: Wir sind mit dem Theater mitten in der Gesellschaft und die Leute sind stolz auf das Haus.

Der ORF hat "Nicht sehen" aufgezeichnet und Anfang Oktober gezeigt. Im Theater wird das Stück nicht wiederaufgenommen?
Nein, das geht leider nicht, weil wir ja zwei Jahre vorausplanen müssen und die Schauspielerinnen und Schauspieler an anderen Häusern engagiert sind. Natürlich ist das schade, auch für alle, die im Vorjahr keine Karten mehr bekommen haben – das Stück war gegen Ende ja immer ausverkauft.

Regisseur Noam Brusilovsky wird wieder für das Theater arbeiten. Gibt es schon Details?
Nein, wir sind dabei, das Thema zu konkretisieren, es wird jedenfalls ein ähnliches Projekt werden. Und ich kann versprechen: Es wird relevant sein und unter die Haut gehen.

Wird der Nestroy nun im Stadttheater zu sehen sein?
Noam Brusilovsky hat ihn mitgenommen. Er hat ja als Regisseur maßgeblich für den Erfolg des Stückes gesorgt.

Wir führen dieses Gespräch während einer Pause beim Intendantentreffen der Landesbühnen. Was sind die Themen?
Die letzten beiden Jahre und wie es nun weitergeht. Die hohen Energie- und Materialkosten sind für die Landesbühnen ein Problem und wir besprechen: Wie können wir reagieren? Nachhaltigkeit ist ein großes Thema, aber auch die Personalnot. Davon sind auch die Theater betroffen, vor allem beim technischen Personal und beim Verwaltungspersonal.

Und der Zuschauerschwund, über den alle reden?
Der war bei der Nestroy-Gala ein großes Thema. Aber es stimmt nicht, dass das Publikum nicht zurückkommt. Es kommt und sogar schneller, als wir erhofft hatten. Wir hatten zum Beispiel beim "Siegfried" wieder ausverkaufte Vorstellungen und das stimmt mich optimistisch. Und ein bisschen Optimismus ist in diesen Zeiten ja besonders wichtig.