Frau Hörbiger, Sie spielen im "Jedermann" Gott und den Teufel. Welcher ist Ihnen lieber?
Mavie Hörbiger: Natürlich der Teufel! Als Gott stehe ich allein auf einem Turm und langweile mich zu Tode. Der Teufel ist die lustigere und dankbarere Aufgabe.
Sie haben sich da mit viel Komik zum Publikumsliebling gespielt. Das schaffen sonst nur Jedermann und Buhlschaft.
Na ja. Wenn man mit Lars Eidinger und Verena Altenberger durch Salzburg geht, flippen die Leute jedenfalls ihretwegen aus. Die werden da gefeiert wie ein Faschingsprinzenpaar.
Aber Ihr Teufel ist der größte Lacherfolg.
Sagen wir, ich bin als Theaterschauspielerin an großen Häusern so erprobt, dass ich schon ein Gespür habe für den Raum. Und natürlich sind die Leute erleichtert, wenn sie ein bisschen lachen können, bevor das Stück dann wirklich in die Tiefe geht. Das ist dramaturgisch echt interessant und schön gesetzt. Ich habe da vor Hofmannsthal großen Respekt.
Auch wenn der Schluss dann sehr weihevoll wird.
Ich werde oft gefragt, warum dieses erzkatholische, patriarchale, konservative Stück noch gebraucht wird. Aber für uns Spielerinnen und Spieler sind das einfach tolle Rollen. Natürlich kann man das alles bigott finden – und wir spielen ja auch auf dem Domplatz. Aber ich habe damit keine Probleme. Ich verstehe auch gar nicht, warum die Figur des Glaubens so lange gestrichen war. Ich finde solche Streichungen immer ein bisschen feige. Andererseits habe ich selbst darauf bestanden, dass wir Stellen streichen, an denen der Teufel vom Weiber schlagen spricht und das N-Wort benutzt. Da gab es lange Diskussionen, als ich sagte, dass ich das auf keinen Fall sagen werde. Und lieber die Rolle zurücklege.
Rückblickend klingt es eher seltsam, dass das vorher nie ein Diskussionsthema war.
Ich verstehe ja sogar, dass man sagt: Wer, wenn nicht der Teufel, sollte solche Wörter in den Mund nehmen. Aber ich meine: am besten gar keiner mehr. Denn die Leute, die dann am Domplatz darüber lachen, sind vielleicht genau die falschen.
2023 werden die Hauptrollen neu besetzt. Welche hätten Sie denn lieber, den Jedermann oder die Buhlschaft?
Hm. Die Buhlschaft in allen Ehren, aber das ist keine Rolle für mich. Mit dem, was Verena Altenberger daraus macht, ist es eine geworden. Ich will niemanden beleidigen, ich habe großen Respekt, aber ich spiele seit 25 Jahren Theater und war nie ein Gretchen, nie eine Ophelia. Ich bin ein anderer Typ.
Dann also den Jedermann? Sie haben ja schon einmal festgestellt, dass es an der Zeit wäre, die Rolle mit einer Frau zu besetzen.
Na ja, das war humorig gesagt. Insgesamt meine ich natürlich, Frauen sollten alle Rollen spielen und bin auch für eine Quote am Theater. Aber gerade beim "Jedermann" finde ich das schwieriger, je länger ich darüber nachdenke. Es geht ja um das Sterben des reichen Mannes. Das meint heute auch das Patriarchat. Und der alte, weiße, reiche Mann, der da im Publikum sitzt, weiß mittlerweile, dass er gemeint ist. Stellt man jetzt eine Frau auf die Bühne, schieben vor allem diese älteren, weißen Herren das wieder ganz schnell ganz weit von sich weg. Und wenn die Welt noch nicht bereit ist, würde man der Frau, die das dann übernehmen sollte, vielleicht keinen Gefallen tun.
Buhlschaften wie Stefanie Reinsperger und Verena Altenberger mussten sich noch in jüngster Vergangenheit Unfassbares über ihre Figur oder Frisur anhören. Andererseits findet niemand etwas dabei, dass die Darstellerinnen alle viel jünger sind als ihr Gegenüber. Sie engagieren sich unter anderem gegen Ageism, was hielten Sie denn einmal von einer Buhlschaft über 40?
Caroline Peters war doch ohnehin nur zehn oder elf Jahre jünger als Tobias Moretti! Da sprach man schon von einem Paar "auf Augenhöhe". Verena ist auch mindestens zehn Jahre jünger als Lars Eidinger. Aber man wird die Rollen künftig wenigstens nicht mehr mit einem 60-Jährigen und einer 20-Jährigen besetzen. Und es wäre einmal ganz schön, wenn sie älter wäre als er, oder?
Das Theater gilt oft als Vorreiter, etwa in Sachen gender- und altersblinder Arbeit. Wie sehen Sie das?
Ach, ich sehe uns da ganz weit hintennach! Die gesamte Theatergeschichte dreht sich um den weißen Mann. Die tollen Rollen, das sind lauter weiße Männer. Da ist noch ein langer Weg zu gehen, etwa wenn ich mir angucke, was August Diehl oder Lars Eidinger spielen durften und was ich spielen durfte. Ich will damit überhaupt nicht sagen, dass ich so gut bin wie Lars Eidinger. Aber wir haben immerhin den gleichen Weg. Wir sind fast gleich alt, wir sind beide lange am Theater. Und wenn man sich seine und meine Rollen anschaut: Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich spiele nicht Richard III. und Hamlet und den Jedermann. Das liegt aber nicht am Können, sondern daran, dass ich eine Frau bin. Da ist der männliche Schauspieler total verwöhnt, weil er eine ganz andere Auswahl an Rollen hat. Abgesehen davon, dass für Frauen die Zeitspanne, in der man gute Rollen bekommt, noch immer recht kurz ist.
Das ändert sich doch gerade?
Aber sehr langsam. Ich weiß nicht, ob ich vor meiner Pensionierung noch eine echte Veränderung erlebe.
Mit 43 denken Sie an so was?
Ja klar, ich mache mir's mit meinen 30 Euro Pension gemütlich und setze mich, wenn die Kinder endlich aus dem Haus sind, mit meiner alten, dicken Katze häkelnd auf die Stiege, gucke Fußball und trink‘ schon nachmittags ein Bier. Das wird wunderschön.
Aber bis dahin suchen Sie sich an der Burg schon noch ein paar tolle Rollen aus, oder?
Nein, gar nicht. Ich habe da überhaupt kein Mitspracherecht. Also, ich kann schon sagen: Nein, das will ich nicht spielen. Da bedarf es dann vieler Gespräche. Sonst muss man eigentlich nehmen, was man angeboten bekommt. Was soll ich da groß lügen? Das ist der Vorgang, und der ist manchmal irrsinnig frustrierend.
Das überrascht mich. Sie zählen zu den Stars im Burgtheater-Ensemble, ich dachte, Sie wählen aus, was Sie spielen.
Ja, man kann schon sagen: Das und das interessiert mich. Ich wollte zum Beispiel unbedingt mit Mateja Koleznik arbeiten und habe noch nie Horvath gespielt, und wir machen jetzt "Kasimir und Karoline".
Sie spielen die Karoline?
Nein, ich spiele dem Merkl Franz seine Erna. Die Karoline sollte jemand sehr Junges spielen.
Wundert es Sie, dass, auch vor dem Hintergrund der jüngsten Enthüllungen im österreichischen Film, #MeToo am Theater bisher kaum ein Thema ist?
Ich denke, die Betroffenen haben immer noch Angst vor dem, was passiert, wenn sie die Ersten sind, die darüber sprechen. Ich glaube aber, und ich hoffe, dass jeder Mann in einer Machtposition heute anders überlegt, ob er einen Schritt tut, der nicht okay ist. Mir selbst ist, abgesehen von dem Alltagssexismus am Theater, den man als Frau natürlich nonstop erlebt, nie etwas Schlimmes passiert. Über all das werde ich noch einmal in Ruhe reden, dann und so, wie ich das möchte. Aber ich denke gerade darüber nach, ob man am Theater so etwas wie ein Patinnentum für junge Schauspielerinnen schaffen kann. Denen hilft man dann, wenn es Probleme gibt.
Als Patin in Sachen Widerstand?
Ach, man nimmt die Jungen einfach an der Hand, hört ihnen zu und sagt für sie Nein. Bis es ihnen selber leichter fällt.
Ute Baumhackl