Das französische Eigenschaftswort „brut“ meint soviel wie „roh, unbearbeitet“. Für Champagnerhersteller ist es die Bezeichnung der Güte des Schaumweines. Spritzig, wild und im Werden sollte er sein.
Jean Dubuffet, vielseitiger Künstler und Sohn eines Weinhändlers, kannte sich aus damit und führte den Begriff in die Kunstgeschichte ein. In seinem Manifest zur „Art brut“ entwickelte er das Konzept einer Kunst, die sich fern von Akademien etablierte. Gemeint ist die Kunst all der „Außenseiter“ („Outsider Art“), die nicht intellektuell gesteuert und formal bestimmt wird, sondern sich unmittelbar zur Anschauung bringt.
Gleichsam eine Kunst im Ur- oder Rohzustand zeigt Christine Stotter. Als Kuratorin bietet sie eine gelungene Möglichkeit, in diese Welt der prickelnden Gärung von einer besonderen Kunst einzusteigen. Aus der Privatsammlung von Hannah Rieger hat sie 50 Werke ausgewählt und präsentiert sie in einer beispielhaften Zusammenstellung. Beginnend mit Arbeiten aus Österreich, allen voran die aus der Künstlercommunity Gugging, startet eine Reise mit „Art Brut rund um die Welt“.
Neben Europa sind auch Amerika, Afrika und Asien vertreten. Es tut sich damit ein Weltzugang der Spontaneität auf. Ohne Umwege wird, was in die Sinne kommt, affektiv reflektiert und mit der Hand formuliert: zeichnerisch, malerisch, mitunter auch schriftlich.
Und so wurden anziehende, bunte Bilder sowie klare, knappe Zeichnungen von Tieren und Menschen. Auch abstrakte Linien auf Papier beeindrucken, wie die geschnitzten, vielfarbig gefassten Skulpturen in Zündholzformat. Bewacht von einem fantastischem „Lindwurm“ zeugt alles von einer gewissen Unbekümmertheit mit großem Einfühlungsvermögen, das der Schönheit ihren gebührenden Platz einräumt.
Willi Rainer