Als Sie erfahren haben, dass Ihr „Hippocampus“ auf die Bühne kommt: Was haben Sie da gedacht?
GERTRAUD KLEMM: Endlich dürfen meine Romanfiguren die gelesene Dimension verlassen und auf die Bühne springen! Ob sie allerdings noch dieselben sein werden?
Haben Sie die Dramatisierung schon gelesen oder schauen Sie sich das erst lieber auf der Bühne an?
Nein, ich vertraue auf Ute Liepold, die weiß schon, was sie tut. Außerdem: es gibt doch nichts langweiligeres, als Drama zu lesen.
Ein wichtiges Thema in Ihrem Buch ist, wie der Kulturbetrieb generell mit Autoren und im Besonderen mit Autorinnen umgeht. Wie ist die Situation weiblicher Kulturschaffender heute? Ist für Autorinnen schwerer, wahrgenommen zu werden (Stichwort: Literaturpreise)?
Natürlich; vor allem, wenn sie den Machthabern auf die Füße steigen. Warum soll die Macht- und Geldverteilung ausgerechnet in der subjektiven Kunstwelt besser sein als überall anders? Die Jurys der großen Preise sind männlich besetzt, die Preisträger sind zu 2/3 männlich, usw. Große Ausnahme sind Show-Preise wie der Deutsche Buchpreis: je mehr Licht und Presse, desto paritätischer das ganze. Ich habe einen langen Atem und viel Glück gehabt. Vieles ist in den letzten Jahren besser geworden, weil sich viele meiner Kolleginnen den Mund verbrannt haben.
Helene Schulze hat sich nach ersten großen Erfolgen ja für Ehe und Mutterschaft entschieden und nach dem Scheitern der Ehe wieder zu schreiben begonnen. Sie beweisen ja selber: Es geht auch beides. Aber wie schwierig ist es, beides zu vereinbaren?
Schwierig, was die Produktionsbedingungen und das Finanzielle betrifft – aber machbar; mit dem richtigen Partner wohlgemerkt. Bücher sollten auch unter erschwerten Bedingungen entstehen dürfen! Unsere Leser und Leserinnen leben ja auch unter beschwerten Bedingungen! Die „klassische“ Literatur klammert Themen wie Mutterschaft, Rassismus und Flucht aus, weil die Themen nicht „literaturwürdig“ waren. Dabei haben Frauen immer schon über ihre Realitäten geschrieben – unpubliziert allerdings. Sie in den literarischen Kanon aufzunehmen, ist erst seit den 1970ern denkbar.
Eine ältere Frau und ein jüngerer Kameramann: eine ziemlich ungewohnte Paarung – in mehrerer Hinsicht. Wollten Sie auch hier mit Tabuthemen spielen, denn umgekehrt kommt´s ja oft vor . . . ?
Meine Elvira macht eben alles richtig – natürlich hat sie einen Jüngeren! Die weißen Flecken auf der Landkarte machten mich immer schon stutzig. Alte Frau und junger Mann, das geht in der Literatur bestenfalls platonisch. Dann hab ich in der sexuellen Realität recherchiert. Da sieht es ganz anders aus! Ich habe so lange mit dem Tabu gespielt, bis es dekonstruiert war. Es gibt nur einen einzigen Zweck, männliches und weibliches Begehren mit Haltbarkeitsdatum zu versehen und zu bewerten: jenen, Männer über Frauen zu stellen. Die Kernkompetenz des Patriarchats.
Hat Corona die Situation der Frauen generell weiter/wieder verschärft? Vor allem im Hinblick darauf, dass es oft wieder die Frauen waren, die zuhause plötzlich die Kinder unterrichten mussten.
Die coronabedingte Arbeitslosigkeit betrifft ja zu 85% Frauen. Das werden wir dann natürlich in der Altersarmut der Frauen wiederfinden... aber irgendwie scheint das allen egal zu sein, der Politik, dem Wahlvolk, allen voran den Frauen. Ich verstehe nicht, warum es da nicht längst schon brodelt.
Wie ist es Ihnen selber als Künstlerin und als Mutter während des Lockdowns gegangen?
Ein paar Wochen ging es gut, dann schoppten sich die Deadlines. Es war unmachbar. Unser Kleiner ist dann in die Schule gegangen, und alle waren wieder glücklich.
Mit welchen Erwartungen werden Sie am 9. September in die Premiere gehen?
Ich bin neugierig, wie verantwortlich ich mich für den Ausgang des Abends fühlen werde. Bei Lesungen trage ich ja das alleinige Risiko darüber, ob und wie der Text ankommt. Aber der wurde ja dramatisiert, inszeniert, gespielt, und ich kann nur dasitzen. Wieviel Prozent Klemm werden da noch drin sein?