Die im Mai geplante 125-Jahr-Feier der österreichischen Ausgrabungen in Ephesos ist, wie so vieles, der Pandemie zum Opfer gefallen. Wie realistisch ist es, dass Sie heuer noch in die Türkei zurückkehren können?
SABINE LADSTÄTTER: Die Hoffnung stirbt zuletzt und es gibt vielleicht noch eine kleine Chance im Oktober oder November im Depot des Grabungshauses zu arbeiten. Jedenfalls sind wir vorbereitet und können jederzeit nach Ephesos fahren.


Als der österreichische Archäologe Otto Benndorf im Mai 1895 seine Grabung in Ephesos begann, veranschlagte er für die Freilegung der Stadt fünf Jahre. Welche Entdeckungen sind in Ephesos eigentlich noch zu erwarten?
Die Archäologie hat sich sehr stark verändert. Die Funde stehen nicht mehr im Mittelpunkt, sondern wir versuchen Zusammenhänge und Prozesse über längere Zeiträume hinweg zu verstehen. Für Ephesos konkret bedeutet dies, dass wir uns aktuell sehr intensiv mit dem Mensch-Umwelt-Verhältnis beschäftigen. Dazu gehört eine Rekonstruktion der Vegetation und ihrer Veränderungen, aber auch die Frage nach Rohstoffen oder generell den Lebensbedingungen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist Mikro-Archäologie, wo man auf kleinstem Raum versucht, das Maximum an Informationen zu generieren. Da spielen dann Aspekte wie Parasitenforschung oder Schwermineralanalysen von Sedimenten eine große Rolle, um zum Beispiel Ställe oder Werkstätten nachzuweisen. Diese Herangehensweise in der Archäologie spült vielleicht nicht mehr das Kunstwerk an die Oberfläche, bringt aber viel authentischere Informationen über die Lebenswelt der Menschen.

Die Celsus-Bibliothek, Wahrzeichen der antiken Metropole Ephesos.
Die Celsus-Bibliothek, Wahrzeichen der antiken Metropole Ephesos. © ÖAI


Von 2016 bis 2018 mussten die Grabungen in Ephesos wegen politischer Verstimmungen unterbrochen werden. Wie steht die türkische Regierung aktuell zu den österreichischen Forschungen?
Leider wurde Ephesos zum Politikum, was ein wissenschaftliches Unternehmen einfach nie sein sollte. Trotzdem gibt es einen Grundkonsens über die hohe Qualität unserer Arbeiten zur Erforschung, aber auch Erhaltung der Ruinenstätte.


Das Wiener Ephesos-Museum besitzt zahlreiche kostbare Fundstücke aus der Türkei, darunter den berühmten Parther-Fries. Gab es jemals Rückgabeforderungen?
Die Provenienz und die Hintergründe des Transports nach Wien wurden vom Kunsthistorischen Museum intensiv erforscht und es zeigte sich, dass es sich ausschließlich um Geschenke des Sultans an das österreichische Kaiserhaus handelt. Im Gegenzug wurden beispielsweise Lipizzaner an die Hohe Pforte gesandt. Als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reiches akzeptiert die Türkei die offiziellen Dokumente.


Sind vom Österreichischen Archäologischen Institut heuer noch weitere Auslandseinsätze geplant?
Ja, wir arbeiten sogar aktuell in Griechenland, in den arkadischen Bergen, wo die hellenistische Kleinstadt Lousoi ausgegraben wird. Auch Forschungsaufenthalte in Kroatien und Bulgarien stehen fix auf unserer Agenda. Die Aktivitäten in Ägypten wurden dagegen vollständig abgesagt und auch die Zweigstelle Kairo geschlossen. Auf unsere Herbstkampagne in Tunesien hoffen wir noch.


Anstelle von Ephesos untersuchen Sie derzeit in Ihrer Kärntner Heimat ein frühmittelalterliches Gräberfeld bei Globasnitz – mit welchen Fragestellungen?
Eine davon betrifft die Befestigungsanlagen auf dem Hemmaberg, deren zeitliche Einordnung bislang nicht geklärt ist. Hier wollen wir genau nachschauen, wann die Siedlung befestigt wurde und wie lange sie es blieb. Dabei spielt das Frühmittelalter eine große Rolle und diesem sind wir in Jaunstein quasi auf der Spur. Wir konnten bereits in den letzten Jahren nachweisen, dass der Friedhof in Jaunstein ab dem 8. Jahrhundert belegt wurde. Dieses Jahr wollen wir nun herausfinden, ob zum Friedhof auch eine Kirche gehörte und wie diese aussah. Eine erste Inspektion der Keramik war durchaus überraschend: Wir konnten viel früh-slawische, aber auch spätantike Keramik identifizieren. Jaunstein ist vielleicht viel älter als bislang angenommen.


Ihr Lehrer Franz Glaser war einer der ersten, der sich mit Fragen der slawischen Besiedelung Kärntens beschäftigte. Wie ist hier der Stand der Forschung?
Die Kärntner Archäologie hatte eine Blütezeit in der Erforschung des Frühmittelalters durch die Kollegen Franz Glaser und Paul Gleirscher. Heute besteht kein Zweifel, dass die ersten slawischen Siedlungen im 7. Jahrhundert nach Christus entstanden und sehr häufig eine Siedlungskontinuität bei Dörfern bis in die Gegenwart gegeben ist. Das Problem ist nicht das der Nachweisbarkeit, sondern der Sichtbarkeit. Die slawische Kultur wird erst rund 200 Jahre nach ihrem ersten Auftreten wirklich sichtbar: durch Friedhöfe um die ersten Kirchenbauten. Dies bedeutet natürlich nicht, dass es die Slawen davor nicht gegeben hat, wir müssen nur genauer hinschauen. Wichtig wäre aber auch, diese Epoche der Landesgeschichte pointierter museal zu präsentieren.

Unauffällig, aber bedeutsam: ein erst dieser Tage entdeckter Mosaikkranz aus der mittelalterlichen Johannes-Kirche in Jaunstein
Unauffällig, aber bedeutsam: ein erst dieser Tage entdeckter Mosaikkranz aus der mittelalterlichen Johannes-Kirche in Jaunstein © ÖAI


Die archäologische Forschung in Österreich ist nicht gerade überdotiert. Das sieht man unter anderem an den raren Dienstposten in den Landesmuseen oder beim Bundesdenkmalamt. Sehen Sie einen gewissen Handlungsbedarf seitens der Politik?
Natürlich wünscht man sich immer mehr Personal. Aber wenn ich ehrlich sein darf: Das ist nicht das Hauptproblem. Meines Erachtens fehlt es am Ausbau von Synergien und der Nutzung überinstitutioneller Kooperationen, aber auch an den großen Ideen. Es gibt so viel Kompetenz in unserem Land, man muss sie nur nutzen. Aber es fehlt auch am Inhaltlichen. Welche Fragen wollen wir eigentlich an unsere Vergangenheit stellen und mit welchen Methoden Antworten finden? Wir brauchen nicht mehr Dienstposten, sondern neugierige Forscherinnen und Forscher. Wir brauchen Qualität, Internationalität, Offenheit und wir brauchen letztendlich auch Kritikfähigkeit. Meines Erachtens krankt die Archäologie in Österreich an ihrer kleinräumigen Struktur und fehlender Einbindung, aber nicht am Desinteresse der Politik. Ganz provokant gefragt: Vielleicht würde sie mit größeren Ideen auch interessanter für die Politik werden? Die Politik wird unsere Hausaufgaben nicht machen, das müssen wir schon selber tun.


Sie haben vergangenes Jahr im Interview mit der „Kleine Zeitung“ angekündigt: „Wenn Ephesos nichts mehr wird, werde ich nie mehr weggehen und zu Hause forschen“. Wenn dies so kommen sollte, welche archäologischen Rätsel möchten Sie in Kärnten noch gerne lösen?
Derzeit beschäftige ich mich intensiv mit den Kärntner Marmoren und deren Verwendung in der Antike. Es gibt Indizien, dass Kärntner Marmor in der römischen Zeit bis nach Rumänien und Bulgarien exportiert wurde. Es muss sich also um eine gewaltige Industrie gehandelt haben. Die Steinbrüche im Detail zu erforschen, aber auch die Endprodukte, die Objekte (Inschriften, Reliefs, Skulptur) zu beproben und die Herkunft des Rohstoffs zu bestimmen, wäre eine schöne Sache, die ich hoffentlich bald realisieren kann. Mit so einem Projekt kann ich meine Forschungen in Ephesos, in Bulgarien und Algerien mit jenen in Kärnten zusammenbringen. Am Ende steht ein Marmoratlas der römischen Welt und Kärnten wird seinen Platz darin haben.