"Wir werden sie wieder ans Meer bringen, zurückbringen wo sie hingehört“, erzählt Anna Baartraurig vom Tod ihrer Großmutter am Stefanitag in Zagreb. Man meint diese Großmutter aus dem autobiografischen Debütroman der Autorin zu kennen: Nada, die einstige Tito-Partisanin, kettenrauchend und furchteinflößend in ihrer Liebe zur Enkelin.

Banditensprache Deutsch

„Ans Meer“, das heißt auf die Insel Brač, auf der die heute 46-jährige Mutter zweier Söhne als Kind die Sommerferien verbracht hat. In „Die Farbe des Granatapfels“ erzählt sie vom Leben in zwei Sprachen und zwei Ländern: Geboren in Zagreb als Tochter eines österreichischen Vaters und einer dalmatinischen Mutter, aufgewachsen in Wien und Kärnten, durfte sie Deutsch, die „Banditensprache“, bei der Großmutter auf der Insel nicht verwenden. Sie tat es natürlich trotzdem, meist heimlich - schreibend.

Zu schön

„Mit der Sprache führe ich einiges auf. Wo uns die gängigen Worte nicht eng werden, wachsen wir ja nicht“, lacht Anna Baar, spricht man sie auf unterschiedliche Kritikerstimmen zu ihren zwei bisher erschienenen Romanen an. Juryvorsitzender Hubert Winkels hatte den Textauszug aus dem „Granatapfel“ 2015 bei ihrer Teilnahme am Bachmann-Wettbewerb als „zu schön, zu geschmackvoll“ bezeichnet. Später sollte das Buch drei Monate lang die ORF-Bestenliste anführen und in Auszügen in zahlreiche Sprachen übersetzt werden.

Sätze kauen

Auch ihr 2017 erschienener zweiter Roman „Als ob sie träumend gingen“, für den sie den Theodor-Körner-Preis erhielt, arbeitet eine Kriegsvergangenheit in Jugoslawien ab - in einer assoziativen und archaischen Sprache. Die poetische Dichte ihres Schreibens ist die große Stärke der Autorin, auch wenn sie schmunzelnd meint: „Dass man die Bücher nicht einfach verschlingen kann, an gewissen Sätzen kauen muss, ärgert manche Leser.“

Schreiben war immer schon „notwendig“ für sie. Ob die heimlich auf Deutsch geschriebenen Briefe als Kind von Brač, ob Auftragstexte während des Studiums in Wien oder die zahlreichen Essays, Kurzgeschichten und Erzählungen in in- und ausländischen Zeitschriften und Anthologien. Sie schrieb für die Grazer „manuskripte“ ebenso wie für Programmhefte der Wiener Staatsoper, zuletzt auch für das Booklet zu André Hellers jüngster Platte „Spätes Leuchten“.

Angestiftet von Fabjan Hafner

Der früh verstorbene Literaturwissenschaftler Fabjan Hafner war es, der sie zur Veröffentlichung eines Prosatextes anstiftete. Cvetka Lipuš und Josef Winkler als Juroren wählten sie heuer für den alle zwei Jahre vergebenen, mit 12.000 Euro dotierten Humbert-Fink-Preis der Stadt Klagenfurt (Preisverleihung am 7. Juni) aus.

Im Herbst soll ihr neuer Roman „zur Welt“ kommen. Der Arbeitstitel „Nil“ lässt eine Abkehr von den bisherigen Themen vermuten. „Ich habe versucht, mich wegzuschreiben von dort, wo man mich bisher verortet hat.“ Und doch ist es wieder eine Beschwörung von Heimat, die für sie auf jeden Fall im Süden liegt: „Das ist eine eigene Himmelsrichtung. Alles andere sind Windrichtungen.“

Liebende und Kämpferin

Das Manuskript ist abgegeben. Zur Erleichterung darüber und zur Freude über den Literaturpreis mischt sich zwischendurch die Erinnerung an die Großmutter: „Sie war keine Einfache; eine unheimlich Schillernde, elegant und sehr damenhaft - und dabei immer auch das kleine, arme Mädchen aus Split. Eine große Liebende und Kämpferin.“ Von „Nada“ musste Anna Baar Abschied nehmen. Und mit ihr von Orten und Worten: „Diese schöne alte Sprache, dieser Spliter Dialekt, den so heute ja keiner mehr spricht, wird mir fehlen. Da verstummt etwas für immer“, meint die poetische Grenzgängerin abschließend mit leiser Wehmut.