Tannhäuser sucht die Erfüllung in den Armen der Liebesgöttin und dann bei der durchgeistigten Elisabeth. Auch Sie konzentrieren sich auf die beiden Frauen.
DAVID BOBÉE: Man ist es gewohnt, dieses Werk im Gegensatz der beiden Frauenfiguren zu lesen. Allerdings ist das die Perspektive Wagners, also die Perspektive eines Mannes des 19. Jahrhunderts. Als Künstler des 21. Jahrhunderts ist es gewissermaßen meine Verpflichtung, dieses Frauenbild zu hinterfragen und feministisch zu agieren. Venus und Elisabeth stehen in einer langen Reihe von Frauenfiguren, die im Lauf der Jahrhunderte von Männern konzipiert worden sind. Männerfressende, übersexualisierte Frauen wie Venus sind ja völlig irreal. Auch vom Gegenbild der geheiligten durchgeistigten Frau, die sich für den Mann opfert, muss man sich distanzieren.
Die Männerfantasie von der Frau als Heilige oder Hure...
Genau, zwei Stereotypen, die für die heutige Zeit zu eindimensional sind. Ich möchte die Komplexität hinter diesen Figuren aufdecken, die Venus entsexualisieren, sie vermenschlichen und verteidigen; aber auch den menschlichen, schattenhaften Anteil in Elisabeth finden. Die ist ja nicht nur eine Lichtgestalt, sondern eine Frau, die einen Liebesmangel durch übermäßige Religiosität kompensiert. Mit meiner künstlerischen Mitarbeiterin Corinne Meyniel haben wir diskutiert, dass der eigentliche Konflikt ja nicht zwischen Venus und Elisabeth stattfindet, sondern zwischen Elisabeth und der Jungfrau Maria. Im Verlauf des Werkes wird eine Göttin durch die andere ersetzt, wie auch Religionen einander jagen und ersetzen. Mein Anspruch ist nicht nur, eine Geschichte dramaturgisch zu erzählen, sondern sie auch als Resonanzboden für die heutige Zeit zu verwenden. ...
Religionskonflikte sind leider immer aktuell.
Derzeit ist vor allem der Islam als gewalttätige Religion in den Nachrichten, aber ein Blick zurück zeigt uns, dass es solche Gewalttätigkeiten früher auch in der christlichen Religion gab. Ich glaube, dass Wagner im Tannhäuser eine deutliche Religionskritik formuliert. Er kritisiert nicht das Faktum, gläubig zu sein, sondern wie Spiritualität und Religion verwendet werden, um andere Menschen zu beherrschen.
Sie sind mit Aurélie Lemaignen auch für die Bühne zuständig. Inwieweit wird da der Konflikt zwischen den Figuren sichtbar sein?
Der erste und der zweite Akt haben ein extrem gegensätzliches Bühnenbild. Die Venus-Grotte ist eine sehr fließende, irreale Welt, in der auch mythologische Wesen aus der Antike auftauchen. Es gibt auch wirklich Wasser auf der Bühne.
Weil Wasser ein sinnliches Element ist?
Entwicklungspsychologisch versetzen uns Grotte und Flüssigkeiten zurück in den Mutterleib. Auch die Figuren bewegen sich auf sehr flüssige Weise. Rausgeschmissen habe ich das Orgienhafte, das oft in der Venusszene vorkommt, weil ich kein Bedürfnis habe, sexuellen Voyeurismus zu bedienen. Da hinein bricht die Jungfrau Maria in Gestalt einer fünf Meter hohen Figur, die die Venusgrotte und die mythologischen Gestalten von der Bühne verdrängt. Im zweiten Akt verfestigt sich quasi alles – mit einem quadratischen Steinpodium.
Sie haben 2016 die erste Oper inszeniert. Liegt Ihr Arbeitsfokus nun beim Musiktheater?
Ich bin hauptsächlich Schauspielregisseur und mache sehr viel zeitgenössisches, interdisziplinäres Theater mit Zirkus und Tanz. Ich habe schon sehr früh auch mit barocker Musik in meinen Stücken gearbeitet, es war logisch, dass ich früher oder später bei der Oper lande, die im Grunde ja auch eine interdisziplinäre Kunst ist. Als Opernregisseur zu arbeiten ist eine Kunst, die Demut erfordert. Man steht zuallererst im Dienst der Musik und der Sänger. Andererseits gibt es auch eine gewisse Maßlosigkeit, vor allem bei Wagner.
Sind Sie auch maßlos?
Ich arbeite ständig und in der Arbeit bin ich maßlos. Ich leite ein Theater, bringe mindestens sechs, sieben Stücke im Jahr heraus. Zurzeit arbeite ich an einem Film mit zwei absoluten Stars, dem Rapper Joey Starr, der in Frankreich extrem bekannt ist und der Schauspielerin Beatrice Dalle, die man als „Betty Blue“ kennt. Und ich arbeite sehr intensiv daran, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind, dass Männer nicht die einzigen sind, die die Deutungshoheit über das kulturelle Leben haben.
Beschäftigen Sie an Ihrem Haus gleich viele Frauen wie Männer?
Ja, sie verdienen auch gleich viel.
Ist das grundsätzlich so in Frankreich? In Österreich werden Regisseure häufig besser bezahlt als Regisseurinnen ...
An den Staatstheatern kenne ich drei Intendantinnen, die das so handhaben. Inklusive mir selbst, die anderen beiden sind Frauen.
Der „Tannhäuser“ ist Ihre erste Arbeit in Österreich. Wie hat sich das ergeben?
Florian Scholz ist immer auf der Suche nach innovativen Regisseuren, die eine neue Ästhetik in der Oper ausprobieren, die Musik respektieren, aber trotzdem mit ihrer Arbeit im Heute bleiben. Er hat meine Inszenierung von Gounods „La nonne sanglante“ (Die blutige Nonne) an der Opera Comique in Paris gesehen. Das hat ihm gefallen. Klagenfurt hat gepasst, ich hatte noch nichts anderes vor.
Gibt es einen Ort hier, den Sie besonders schätzen?
Ich will mich nicht einschmeicheln, aber es ist der See. Und diese Bar hier (Anm.: das Café Parkhaus im Napoleonstadl) mag ich auch sehr. Aber ehrlich gesagt, arbeiten wir hier zu viel, um uns als Touristen zu fühlen, Dazu müsse ich noch einmal kommen, auch weil ich gerne ins Gebirge gehen möchte.
Uschi Loigge