Zwischen den Extremen größter Bewunderung und dem Ruf der Unaufführbarkeit schwanken die Meinungen über „La clemenza di Tito“. Und keine der großen Opern von Wolfgang Amadeus Mozart erzeugt, was Interpretation und Wertung betrifft, heute wie damals ähnlich große Probleme wie dieses Spätwerk. Denn das als Krönungsoper zu Ehren Leopold II im Todesjahr des Salzburger Meisters 1791 in Prag uraufgeführte Werk gilt als szenisch schwer belebbar. Deshalb ist bei diesem psychologischen Kammerspiel, bei dem es um die nicht nachvollziehbare, alles verzeihende Güte des römischen Kaiser Titus geht, viel Interpretationsfähigkeit gefordert, um es wirkungsvoll auf die Bühne zu stellen.
Und auf dieser trägt Marco Štorman von Anfang an ziemlich dick, unsinnig und teils auch verrätselt auf. Der deutsche Regisseur will von Anfang an auch die dunkle Seite des Titus zeigen, der vor seiner Altersmilde ja ein blutrünstiger Kriegstreiber war und über Leichen gegangen ist. Diese bevölkern immer wieder wie Zombies schwankend die Bühne. Dazu gesellt sich fast omnipräsent ein gruseliger Hase mit erschreckendem Gebiss, der aus einem Horrorfilm stammen könnte. Als Titos Schatten im Programmheft tituliert, soll er offenbar das Böse des Kaisers aber auch sein schlechtes Gewissen darstellen. Immer wieder greift er ins Geschehen ein, ersticht sogar die Untoten (?) und vor der Pause Titus. Für diese entbehrlichen Ideen hat man ein offenes, hässliches, unfertiges Baugerüst mit verschachtelten, kleineren Räumen und Pflanzen (Bühne: Demian Wohler), wo jeder jeden beobachten kann, bauen lassen.
Ein Raum besteht nur aus Kühlschränken und Kühltruhen, aus denen immer wieder Personen heraussteigen oder hineinkriechen, was Gelächter im Publikum hervorruft - offensichtlich gedacht als Synonym für die emotionale Kälte. Zum Finale werden Flugblätter mit „Sesto libero“ ins Publikum geworfen. Chor und Solisten, die insgesamt schlüssig geführt werden, huldigen im Zuschauerraum und von der Galerie herab dem verzeihenden, allein auf der Bühne mit kitschig, goldenem Umhang und pompöser Krone stehenden Titus.
Unschwer sind Symbolik und zeitlose Themen der Oper wie Machtbesessenheit, sexuelle Hörigkeit, Güte, Liebe, Intrige in der Inszenierung erkennbar, was auch in dem Kostümmischmasch von Alt und Neu (Anika Marquardt/Benjamin Burgunder) zu sehen ist - allerdings mit dem Holzhammer präsentiert.
Musikalisch gibt es kaum etwas zu bemäkeln: Im höher gefahrenen Graben lässt Nicholas Carter das KSO mit großer Präzision, reich an Frische und Farben, aber auch beklemmender Intensität musizieren. Besonders erwähnt seien der Soloklarinettist wie auch die gekonnte Continuo-Begleitung bei den Rezitativen, mit Hammerklavier und Cello.
Von hoher Güte ist das Sängerensemble. Lediglich Attilio Glaser verfügt als Titelheld über ein recht kehliges Timbre und schwammige Koloraturen. Er zeigt aber Höhensicherheit und einen präsenten, zerrissenen Titus. Sofia Soloviy singt die Vitellia mit großer Differenzierungskunst und Leidenschaft. Als ihr Werkzeug: Sesto, Freund des Kaisers und zwiespältiger „Verräter“, den Anaik Morel mit ausdrucksstarkem Mezzosopran und zärtlichem Ausdruck singt. Als Servilia ist die bezaubernde Bryony Dwyer zu erleben. Feride Büyükdenktas als bubenhafter, schönstimmiger Annio, Nicholas Crawley als wohlklingender Publio und der makellose Chor (Einstudierung: Günter Wallner), der bei seinen Auftritten von der Regie gewollt immer wieder einschlafen muss, runden den positiven sängerischen Gesamteindruck ab.
Stehende Ovationen!
Helmut Christian