Um es vorwegzunehmen: Peter Turrini / Josef Winkler: Ich bewundere, ja eigentlich liebe ich sie beide, den einen wie den anderen, je nach seiner Art und werde daher nicht auf eine kulturpolitische Barrikade steigen etwa unter der Devise „Hie Turrini, dort Winkler, oder umgekehrt“. Es gibt sie gar nicht, eine solche Barrikade. Belanglos auch die Frage, ob Künstlerinnen und Künstler aufeinander eifersüchtig sind oder einander mögen; in der Regel sind sie ja eifersüchtig und mögen einander, na ja, auf ihre Art…
Sehr irritierend freilich mutet der Umgang an, welchen man hierzulande seit Jahrzehnten gerade mit jenen Kulturschaffenden pflegt, die außerhalb der Grenzen Kärntens überregionale, europäische Bedeutung besitzen. Das betrifft nicht sosehr die jeweils politisch Verantwortlichen, denn, seien wir realistisch, wie oft kommt es denn schon vor, dass Kulturpolitiker oder diverse beratende Gremien je auch nur ein einziges Kunstwerk von Herzen, leidenschaftlich, geliebt, geschweige denn ein solches zustande gebracht hätten? Parteipolitik hat in der Kultur nichts verloren, wohl aber sollte Kultur im Zentrum der Politik stehen, zumindest Kultiviertheit. Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Gefühle des "Volkes"
Nein, das Problem in der Kärntner Kulturlandschaft ist eine latente, aber deutlich spürbare Stimmungslage in diesem schönen Lande, die es immer wieder politischen Hasardeuren und Agitatoren, darunter befinden sich aber leider auch Journalisten, so furchtbar leicht macht, eine gewisse Öffentlichkeit, man nennt dieselbe dann gerne „das Volk“, je nach Bedarf von Zeit zu Zeit gegen Kulturschaffende aufzuwiegeln, gegen Persönlichkeiten, die es sich herausnehmen „anders“ zu sein als es die Gefühle des sogenannten „Volkes“ erlauben. Wir alle erinnern uns an den „Fall Kolig“, in dessen Verlauf das Land der internationalen Lächerlichkeit preisgegeben wurde; man lese die damaligen Landtagsprotokolle sowie diverse Pressestimmen in der „Kampagne“ gegen Cornelius Kolig: Kein Sketch des Villacher Faschings vermag neben der (freilich ungewollt) brüllenden Komik dieser Lektüre bestehen. Nur, gestehen wir uns auch ein, dass der realpolitische Impakt einer solchen Kampagne, insbesondere, wenn sie in Vorwahlzeiten gestartet wird, beträchtlich sein kann. Die Verhöhnung „anderer“ zum Zwecke politischer Vorteile gerät in unruhige Zeiten zur harten Droge; Der Genuss derselben vermag dann demokratische Entscheidungen entscheidend beeinflussen. Wie gehabt. Und so weiter. Wir werden sehen…
Die Kärntenbeschimpfung
Ja, aber warum funktioniert das gar so leicht? Warum funktioniert das gerade in Kärnten so leicht? Warum lässt es sich in Kärnten so leicht gegen Persönlichkeiten kampagnisieren, nachdem in einer politischen Rede oder in einem Kommentar bloß dieses eine ominöse Wort gefallen ist, dem kaum jemand zu widersprechen wagt; das Wort, Sie kennen es alle, lautet „Kärntenbeschimpfung“. Das Wort löst sofort und automatisch eine Art kollektiver Hysterie gegen den vermeintlichen „Kärntenbeschimpfer“ aus. Heute nennt man das „shitstorm“, pardon. Gerade ein Peter Turrini kann ein düsteres Kärntner Lied davon singen. Was ist es, dass die „Kärntner Seele“ durch politische Agitation so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringend ist?
Vermutlich liegt es daran, dass die „Kärntner Seele“ leidet, dass sie das Gefühl hat, „Valoss´n wia Stan auf der Strassen“ in dieser Welt herumzuliegen. Woran leidet die sogenannte „Kärntner Seele“? Vermutlich an der Amnesie, welche ihr per Infusion seit Generationen eingeträufelt worden ist, eine Amnesie, welche die Kärntner Seele alles vergessen ließ, was ihren eigenen enormen Reichtum an Jahrtausenden Erfahrung, an Würde und Selbstachtung ausmacht. Eingeträufelt von wem? Ach, der Narkotiseure, die danach trachteten die Kärntner Seele zum Zombie zu verwandeln sind allzu viele… Die Einschläferung, die Betäubung der Kärntner Seele vollzieht sich seit über hundert Jahren. Damals war der Nationalismus, jener kollektive Veitstanz des europäischen Geistes ganz große Mode, er entsprach dem „Zeitgeist“. Eine zeitgeistige Droge. Besonders fatal wirkte, wirkt sich diese in Gegenden aus, wo seit Menschengedenken Menschen verschiedener Sprachen friktionsfrei miteinander und bunt durcheinander lebten, heirateten und zeugten. Plötzlich war es Mode, „zeitgemäß“, etwas sein zu müssen, bald auch sein zu wollen, was man gar nicht sein kann: etwa „Reinblütiger Germane“ in Kärnten. Ein an sich komisches Bemühen, gerade in Kärnten, wenn das Ergebnis die sogenannte „Kärntner Seele“ nicht über hundert Jahre verwundet hätte.
Begegnung in einem Kärntner Wirtshaus
Ich kannte Menschen, die dieser unlösbare Konflikt sogar in den vollzogenen Suizid getrieben hat.
Ein groteskes Beispiel anhand einer Begegnung in einem Kärntner Wirtshaus vor drei Jahrzehnten. Ich war nach einer Autoreise von guten 2000 Kilometern dort eingekehrt, um ein Viertel Veltliner zu trinken und danach schlafen zu gehen. An meinem Tisch saß ein mir flüchtig bekannter älterer örtlicher Honoratior, man darf ihn als dörflichen Guru bezeichnen. Er fing an, sich zu beklagen, dass das „Deutschtum“ im Lande bedroht sei. Sie kennen diese Sprüche. Im Bestreben, ihn zu kalmieren merkte ich an, dass ich müde sei und zum Diskutieren nicht aufgelegt, das könnte man am nächsten Tag erledigen. Der Guru ließ sich nicht und nicht beruhigen. Schließlich meinte ich „Lieber Herr, ich will Ihnen ja nicht nahetreten, aber sie heißen doch …nig. Gar so Deutsch kommt mir der Name nicht vor…“ Seine Antwort hat mich erschüttert: „Ja, da haben Sie schon Recht, mein Vater war ein Slowener und jetzt habe ich selber unreines Blut in meinen Adern und muss daher dem Deutschtum noch viel treuer sein als alle andern…“ Soll man da lachen oder weinen? Eher weinen, denn wie zutiefst verwundert muss eine Seele sein, welche das eigene Fleisch und Blut, die eigene Identität als „unrein“ empfindet. Oder, an einem Wirtshaustisch in Ottmanach, wo ich über die Sage vom „Totenseher“ recherchierte. Stimme eines Anwesenden: „Das is altes Grafl, brauch ma heute nit“. Der Hinweis, dass Kärnten doch eine uralte Zivilisation und wunderbare Traditionen besitze, gespeist aus keltischen lateinischen, slawischen und, ja auch bajuwarischen Einflüssen, hat den Mann nicht beeindruckt: „Brauch ma alles nit, wir haben eh den 10. Oktober“.
Das vergessene Urbild
Woran leiden sensible Menschen, die Kärnten lieben, denen das über die Jahrzehnte verunglimpfte Bild, welches Kärnten allzu oft bietet, weh tut? Woran leiden Menschen, welchen das verborgene, vergessene, schöne Urbild Kärntens am und im Herzen liegt und die sich bewusst oder unbewusst nach diesem Kärnten sehnen, das Valentin Oman symbolisch in seinen Fresken in der Kirche von Tanzenberg so ergreifend dargestellt hat?
Woran leiden viele „Kulturschaffende“ in diesem Lande? Sie leiden alle an der verwundeten, leidenden Kärntner Seele!
Woran leidet die „Kärntner Kultur? Daran, dass diese nicht Herz des Kärntner Selbstbewusstseins ist, sondern allzu oft ins Abseits gedrängt wurde. Ein einst einflussreicher „national“ gesinnter Jungpolitiker, „Buberl“ nannte man damals diese Spezies, hat das in einen unvergleichlichen, in seiner Unbedarftheit und gerade ob seiner Unbedarftheit freilich verzweifelten Satz gefasst: „Ihr seid´s Scheißhund, ihr Kinstla!“
Das Bauchweh in den Gremien
Ein weiteres Beispiel: Sollten, immer noch selten genug, Stimmen sich erheben, die das eigentlich Selbstverständliche, nämlich die historische und spirituelle Polyphonie und ihren Ausdruck, nämlich die über die Jahrhunderte bestehende Zweisprachigkeit, in einen simplen Gesetzestext einfließen lassen möchten, so verursacht dies in diversen Gremien automatisch „Bauchweh“. Hier wird vorgebliche Heimatliebe zur schroffen Ablehnung eben dieser Heimat.
Das aber hat nichts mit dem leider allgemein gebräuchlichen, aber darum nicht weniger grundfalschen Gegensatzpaar „Rechts oder Links“ zu tun. Als ich vor vielen Jahren einmal anmerkte, der slowenisch sprachigen Bevölkerung im Lande sei doch jene respektvolle Beachtung zu gewähren, wie sie ihr zu Zeiten des Kaisers Franz Joseph zuteil war, erhielt ich von „nationaler“ aber „linker Seite“ einen empörten Anruf: ich sei ja wohl ein „Kommunist“.
Wie kommt, vor allem ein Schriftsteller, ein Dichter wie Peter Turrini, aber auch Josef Winkler, psychisch und intellektuell damit zu Rande, dass er in einem verwundeten Land lebt? Kunst, vor allem Literatur, meine Damen und Herren, ist ja ein Seismograph, der unmittelbar aufzeichnet, was ist. Getreulicher und daher unheimlicher aufzeichnet, als politologische Untersuchungen solches zu tun vermöchten.
Dunkler Humor
In einem sensiblen Dichter wie Peter Turrini, dem gottlob auch die Gnade eines venezianischen dunklen Humors zuteil geworden ist – sein Vater kam aus dem Veneto – brach unter diesen Umständen das große Mitleid heraus, Mitleid mit geschundenen Menschen, die von ihrerseits geschundenen Mitmenschen gequält und gedemütigt wurden. Es mutet gespenstisch an, dass sich die Geschichte vom „Sauschlachten“ in ihrer Grausamkeit tatsächlich so abgespielt hatte, mitten in Kärnten, ohne dass der Dichter davon Kenntnis gehabt hätte; Mitleid mit der gequälten Kreatur – ich erinnere an seine Erzählung von einer gequälten Kröte. Mitleid mit Gequälten und gequälten Quälern, die einander wie in der „Schlacht um Wien“ in einem infernalischen Strudel Schaden zufügen, bis das alles sogar dem lieben Gott zu viel wird und dieser dann den Lichtschalter abdreht. Turrinis Antwort auf die Erfahrung mit der verwundeten Kärntner Seele ist ein kosmisches, ein metaphysisches Drama. Die schreckliche Metaphysik lastet auch über dem Parlando des dunkel heiteren Konversationsstückes „Bei Einbruch der Dunkelheit“, wo er die Nachmittage auf dem Tonhof in Maria Saal beschwört…
Josef Winklers Werk wiederum nährt sich sozusagen aus dem Gift, welches es aus der sogenannten „Heimatscholle“ zieht, zuletzt aus der Obsession des Gerippes, das im heimatlichen Acker vergraben ist. Der tote Untote, der sich auf des Dichters Schultern festkrallt, ist Odilo Globocnik, ein Massenmörder apokalyptischen Ausmaßes.
Solche Düsternis in einem wunderbaren, an sich gesegneten Land, einem reichen Land, dessen Seele eben verwundet ist und vermutlich auch verwundet bleiben wird, bis…
Bis vielleicht in einer fernen Zukunft die „Kärntner Seele“ aufwacht aus ihrer Totenstarre und sich wiederfindet in den Versen der großen Christine Lavant:
„Ich danke dir für dieses Gift:
Es hilft mir viel beim Atemholen,
wenn auch die Sinne mir verkohlen
und mich mein Herzschlag nimmer trifft.
Oft tut es mir wohl heftig leid,
daß ich so niedre Hilfe brauche,
gern äße ich vom Sonnenstrauche
die gute Frucht der Wachsamkeit.
Sie hängt für mein Gemüt zu hoch,
das drehkrank wird beim Aufwärtsschauen,
meist muß ich ihm noch Stufen bauen
zu dem, was hier auf Erden blüht.
Vielleicht lebt noch ein Sonnenteil
Auch in des Giftes bittrem Samen?
Ich esse es in deinem Namen,
o Gott und hoffe auf mein Heil.