Sie lesen zum Geburtstag von Peter Handke „Wunschloses Unglück“. War das Ihre Wahl?
BIBIANA BEGLAU: Das war sogar mein Vorschlag.
Wieso?
Ich habe in „Immer noch Sturm“ gespielt. Da gibt es sehr viele Sätze, die Handke im „Wunschlosen Unglück“ angeschrieben hat, wo es nicht weitergeht. Zum Beispiel das frischgebackene Brot mit der Butter. In „Immer noch Sturm“ hat er den Satz zu Ende geschrieben: das frischgebackene Brot und die frischgestampfte Butter mit dem Wassertropfen oben auf dem Klumpen. Die Singer-Nähmaschine kommt auch vor, und zwar in den gleichen Zusammenhängen. Das war ein Grund. Und es ist sein Geburtstag, er war seiner Mutter sehr verbunden, es geht um Klagenfurt. Da kann man nur diesen Text nehmen.
„Wunschloses Unglück“ wurde früher in den österreichischen Schulen viel gelesen.
Das find ich total richtig. Es ist ja fast ein frauenrechtlicher Text, weil er sagt: Die Mutter hatte ja nie Möglichkeiten. Dann äußert sie einmal einen Wunsch, und der Vater sagt Nein. Für sie war es eh immer schon vorbestimmt: krank, todkrank, tot. Ich finde, es ist einer seiner stärksten Texte, ein wichtiger und toller Text. Er zeigt eine bestimmte Anbindung und Verlorenheit, eine Anbindung an die Familie und gleichzeitig der Abgesang der Familie.
Ähnlich wie in „Immer noch Sturm“, wo Sie in der Uraufführung 2011 die Tante gespielt haben, Ursula, die dann zu den Partisanen in den Wald gegangen ist.
Genau, und da gab es auch noch die Mutter, die Oda Thormeyer gespielt hat.
Haben Sie Peter Handke persönlich kennengelernt?
Ja, habe ich.
Wie lief das, er ist ja scheu und dann auch ...
... funny walking. Er ist so wie Bob Dylan. Handke weiß halt, wann er auftreten muss, wann er abtreten muss. Wenn die Leute auf ihn warten, lässt er sie noch ein bisschen länger warten. Ein total geschickter Gesellschaftsstratege, der hat nicht umsonst mit der blauen Sonnenbrille bei der Gruppe 47 im Hintergrund gesessen. Der ist schon sein eigener Gott.
Wenn Sie auf der Bühne stehen, sagen Sie: Ich spiele nicht, ich propagiere. Wie ist das bei einer Lesung?
Da versuche ich mich hinter den Autor zu stellen. Leider kann ich nicht alles vorlesen. Ich fahre gerade zu einer Probe nach Berlin, wo wir einiges versuchen werden, auch hinsichtlich meines Wunsches, dass man vielleicht „Immer noch Sturm“ anklingen hört. Aber ich versuche mich ganz hinter die Worte des Autors, seine Interpunktion und seinen Rhythmus zu stellen. Also: Wie weit ist ein Satz von mir entfernt? Was weiß ich über diesen Satz? Deshalb mag ich das „Wunschlose Unglück“ so wahnsinnig gerne, weil es auf ganz eigentümliche Art viel mit mir zu tun hat. Mehr kann ich nicht sagen, aber es ist jedenfalls ganz dicht an mir dran.
Vielleicht ist es Handkes Parteinahme für das Übersehene, das Unscheinbare. Das ist Ihnen ja auch nahe.
Na ja. Nein. Es ist der nüchterne Blick auf diese Menschen, auch auf den Sparkassenmann, diesen alten Nazi ... es ist hart formuliert und zärtlich, glasklar beobachtet, und trotzdem schwingt große Empathie mit mit den Menschen und ihrer Zeit und wie sie in ihrer Zeit stehen müssen. Und wie furchtbar viele Menschen auch geistig, seelisch zerrieben werden. Das ist das, was mich eher interessiert, nicht das Übersehene bei der Mutter und sein ganzes Gejammere, dass er das jetzt aufschreiben muss, bevor die Idee weg ist und der Schmerz verklungen. Es ist der Blick in diese Zeit.
Uschi Loigge