Auch bei nunmehr gelockertem Lockdown setzen dem Bewegungsdrang noch immer die vergessen geglaubten nationalen Grenzen Grenzen. Abhilfe schafft da von der Couch aus das Freiheits-Filmgenre schlechthin: In Roadmovies schickt uns das Kino auf Reisen, und zwar nicht nur im Land der endlosen Highways.
Ausgerechnet ein Deutscher hat das vielleicht amerikanischste Roadmovie überhaupt gedreht: Wim Wenders’ „Paris, Texas“ (Amazon, iTunes, Rakuten, maxdome) zelebriert die Weite und schickt den legendären Harry Dean Stanton in seiner ersten Hauptrolle auf einen stummen Selbstfindungstrip durch die Wüstensonne - dafür gab es in Cannes 1984 die Goldene Palme. Dass Stanton auch abseits der Leinwand eine grandiose Freiheits-Figur ist, zeigt darüber hinaus die Doku „Harry Dean Stanton: Partly Fiction“ (iTunes).
Auf der Flucht vor dem Gesetz sind dagegen „Bonnie und Clyde“ (u. a. Amazon, iTunes, GooglePlay, Chili). Zwei Jahre vor dem schlecht gealterten „Easy Rider" (u. a. Amazon, iTunes, maxdome) läutete Arthur Penn 1967 mit der Gangster-Geschichte die New Hollywood Ära ein und mythologisiert die Freiheit der Straße als Flucht vor dem bürgerlichen Leben. Terrence Malick lässt die Outlaw-Romantik 1973 in seinem wunderschönen Debütfilm „Badlands“ wieder aufleben. In der 80er-Jahre-Verfolgungsjagd „Midnight Run“ (u. a. Netflix) dagegen eskortiert Kopfgeldjäger Robert De Niro einen Mafiosi quer durch Amerika. Anfang der 90-er inszenierte Ridley Scott mit „Thelma & Louise“ (Amazon, iTunes u.a.) eine furios-feministische Flucht in die Freiheit, die perfekt in die Gegenwart passt.Vom Regiesessel aus erzählte die großartige Ida Lupino bereits 1953 ihre raffinierte Entführungsgeschichte „The Hitch-Hiker“ über einen unangenehmen Anhalter, den zwei Freunde auf ihrem Urlaubstrip mitnehmen: „Das ist die wahre Geschichte eines Mannes, einer Pistole und eines Autos. Was sie in den nächsten 70 Minuten sehen, hätte auch ihnen passieren können.“ Die Library of Congress hat den Spielfilm gratis auf ihrem YouTube-Account, neben vielen sehenswerten Kurzfilm-Archiv-Perlen!
Gael García Bernal glänzt in gleich zwei feinen Roadmovies, die Lust auf die Freiheit unterwegs machen: Einmal mit seinem Motorrad als junger Easy Rider namens Che Guevara in „Diarios de Motocicleta“ (iTunes u.a.), der als Medizinstudent den lateinamerikanischen Traum der Gerechtigkeit entdeckt. Und einmal als Teil einer fahrenden Menage à Trois in Alfonso Cuaróns „Y Tu Mamá También“ (Chili).
Der 2014 auf seiner Weltreise verstorbene Rebel des Austro-Kinos Michael Glawogger schickt für sein Drogen-Roadmovie „Contact High“ (VoD-Club, Flimmit) eine genial-verrücktes Ensemble von Wien aus auf die Reise nach Drogomysel - “Fear and Loathing in Vienna” sozusagen. Die Roadmovie-Romanze quer durch Europa von Exil-Vorarlberger Hans Weingartner „303“ (Amazon) ist momentan eher schwer vorstellbar, aber wunderschön. Und im vielleicht besten österreichischen Film der letzten Jahrzehnte „Indien“ (VoD-Club, Flimmit) offenbart sich die Absurdität des Daseins auf einer Reise der zwei „Außendienst-Cowboys“ Alfred Dorfer und Josef Hader durch die österreichische Provinz - im Hintergrund die Ölpumpen wie in Texas.
Marian Wilhelm