Nur etwas ältere Opernfreunde wissen noch, was gemeint ist, wenn jemand "feile Sklaven" anklagt, oder "nun vergiss leises Flehn, süßes Kosen" mahnt. Bis in die Sechziger war es üblich, Opern in der Landessprache zu singen. Heute klingt es recht befremdlich und hoffnungslos antiquiert, wenn der Herzog in Verdis "Rigoletto" anstatt "Parmi veder le lagrime" plötzlich "Ich seh heiße Zähren auf deinen holden Wangen" anstimmt.
Die Änderung vor 60 Jahren hatte jedoch keine ästhetischen Gründe, sondern war Folge eines fundamentalen Wandels der Opernproduktion. Herbert von Karajan etablierte damals das System des internationalen Sängerzirkus. Die besten Sänger reisten mit ihren Paraderollen rund um den Globus. Sie konnten naturgemäß eine Partie nicht in vier, fünf Sprachen parat haben. So setzte sich im Lauf der 60er allmählich die jeweilige Originalsprache des Werks durch.
Eine 15 CDs umfassende Box „Oper auf Deutsch“ erinnert nun an die Zeiten vor dem weltumspannenden Starbetrieb, als fixe Ensembles an den Häusern sangen. Stundenlang könnte man von den stimmlichen Offenbarungen schwärmen. Fritz Wunderlich als Alfred ("Traviata") und Lenski ("Eugen Onegin"), Walter Berry als Figaro und Tonio („Bajazzo"), Pilar Lorengar als Mimi ("Bohème"), Rita Streich als Rosina ("Barbier von Sevilla"), der fantastische Tenor Sándor Kónya in mehreren Partien, dazu Thomas Stewart, Kim Borg, Evelyn Lear, Dietrich Fischer-Dieskau, Irmgard Seefried und und und. Sie alle und so manch eher in Vergessenheit geratene Interpreten (etwa Ernst Kozub, Gisela Litz oder die heute in Graz lebende Anny Schlemm) stellen viele der heutigen Stars in den Schatten.
Die 15 Querschnitte stammen von 1961 bis 1966 und dokumentieren auch das außerordentliche damalige Niveau von Kapellmeistern wie Ferdinand Leitner, Alberto Erede und Horst Stein. Und bei manchem Werk merkt man auch, dass durch den Wechsel auf die Originalsprache einiges an Verständnis auf der Strecke geblieben ist. Auf Deutsch klingt vieles zwar antiquierter, aber auch viel unmittelbarer. Eine alte Weisheit bestätigt sichaber durch die 15 Querschnitte: Desto besser eine Oper ist, desto schlechter wird ihr ein Querschnitt gerecht. Ein kleiner Wermutstropfen eines abgesehen davon herausragenden Dokuments.
Weitere Operntipps:
Die vorletzte Premiere vor der Coronaschließung an der New Yorker Met war Händels „Agrippina" gewidmet, mit Joyce DiDonato in der Hauptrolle: ein grandioses Primadonnen-Vehikel. Nun ist DiDonatos plastisches Porträt auch als Tondokument erhältlich.Zwei Jahre vor seinem Tod begann Ravi Shankar, eine Oper zu schreiben. "Sukanya" wurde von seinem Mitarbeiter David Murphy fertiggestellt, der auch die Uraufführung dirigierte. Die Musiklegende aus Indien verknüpft in dem etwa eineinhalbstündigen Werk die romantisch-westliche Operntradition mit indischer Musik."Libertà!" ist eine imaginäre Mozart-Oper, zusammengestellt aus Stücken und Fragmenten, in denen der Komponist Mitte der 1780er, also knapp vor dem Beginn seiner Da-Ponte-Trilogie mit Bühnenmusik experimentierte. Ergänzt um einige Stücke anderer Komponisten. Das interessante Konzept und die starke Interpretation stammt von Dirigent Raphaël Pichon und dem Ensemble Pygmalion.
Die 1878 uraufgeführte romantische Oper "Ekkehard" des heute weitgehend vergessenen Komponisten Johann Joseph Abert ist eine biedere Angelegenheit. Doch hier hört man zwei Top-Stars der Bühne vor dem Durchbruch: Jonas Kaufmann und Christian Gerhaher im Jahr 1998.