"Am 22. August 1920 um 17 Uhr schlug mit der ersten Aufführung [...] Jedermann die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele", steht auf der ersten Seite des kleinen Jedermann-Büchleins, das die Festspiele am 100. Jubiläumstag ihrer Gründung in der Stadt verteilen. Mit einem besonderen Programm feiert die ganze Stadt unter besonderen Bedingungen den Geburtstag der Festspiele.
Alles begann mit einer Notlösung. Da man sich 1920 noch kein Festspielhaus leisten konnte, wurde der Domplatz kurzerhand zur Kulisse für das "Sterben des reichen Mannes" gemacht. Mit Notlösungen muss man sich 100 Jahre später dank Corona wieder durchschlagen. Also findet das Geburtstagsfest unter den entsprechenden Hygienemaßnahmen an verschiedenen Schauplätzen statt. Insgesamt fünf "Jedermänner" befinden sich am Samstag (22. August) in der Stadt: Klaus Maria Brandauer, Cornelius Obonya, Peter Simonischek, der amtierende Tobias Moretti und Philipp Hochmair, der 2018 für den erkrankten Moretti in fünf Vorstellungen einsprang. Sie alle halten über den Tag verteilt kleine Lesungen und erzählen selbst aus ihrer Zeit in Salzburg.
Bereits um 10 Uhr hatten Jedermann-Begeisterte auf dem Kapitelplatz vor der Siemens-Festspielleinwand auf den versetzten Stühlen Platz genommen, um Nicholas Ofczarek in der Titelrolle der Produktion des Jahres 2010 zu sehen. Insgesamt drei Inszenierungen wurden neben der aktuellen gezeigt. Selbst der am Nachmittag einsetzende Regen konnte den Fans nichts anhaben, die einfach die ausgegebenen Regencapes überzogen und mittlerweile Peter Simonischek um Veronica Ferres auf der Leinwand buhlen sahen.
Der echte Peter Simonischek befand sich unterdessen auf dem Mönchsberg im Restaurant M32, wo er Erinnerungen von Helene Thimig, der Witwe von Festspielgründer Max Reinhardt, Kritiken über die Jedermann-Aufführungen 1920 und Reinhardts Anmerkungen zu seinen Schauspielerinnen und Schauspielern vortrug. Davor hatte Cornelius Obonya im Stiegl-Keller gleich drei Stuben ebenfalls mit Texten von Max Reinhardt, vor allem aber mit den "Fragmenten zu Jedermann" von Maximilian Schell unterhalten, die er sehr lustvoll und mit verschiedenen Stimmen im mittleren Raum ins Mikrofon sprach, bis ihn die Jedermann-Kapelle hinausverabschiedete.
Aufgrund der Abstandsregeln war es notwendig, für die kostenlosen Lesungen zu reservieren. Doch auch von zuhause aus kann das Tagesprogramm verfolgt oder nachgesehen werden. Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler persönlich führt durch einen Facebook-Livestream, auf dem neben den Lesungen auch die "Rede über das Jahrhundert" von Elisabeth Orth am Vormittag in der Felsenreitschule übertragen wurde.
Am Abend wird standesgemäß die aktuelle "Jedermann"-Inszenierung gegeben, die auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier besuchen werden. Sie hatten bereits am Vormittag Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker gehört. Die erste Aufführung auf dem Domplatz ist gleichzeitig der Gründungstag der Festspiele, dessen 100. Jubiläum zumindest den aktuellen Wetterprognosen nach im Großen Festspielhaus begangen werden muss, da auf dem Domplatz im Gegensatz zur Leinwand auf dem Kapitelplatz keine Regencapes für Jedermann-Fans verteilt werden.