Eigentlich haben sie die Salzburger Festspiele nie interessiert, dennoch wollten Markus Hinterhäuser und Helga Rabl-Stadler Anita Lasker-Wallfisch ursprünglich sogar als Eröffnungsrednerin zum Festival einladen. Dass die Cellistin, die eine der letzten lebenden Zeitzeuginnen von Auschwitz ist, dennoch in der Felsenreitschule sprechen konnte, ist der Reihe "Reden über das Jahrhundert" zu verdanken.
Die Jubiläumsgesprächsreihe ist ein Kind der aktuellen Situation und bittet in vier Kapiteln Redner und Rednerinnen, ihre Sicht auf das vergangene Jahrhundert zu teilen. "In den vergangenen 100 Jahren ist das Beste und zugleich auch das Schlimmste passiert. Mein Leben war leider vom Schlimmsten geprägt", sprach Lasker-Wallfisch Samstagmittag von einem großen Bildschirm in die Felsenreitschule herunter. Aufgrund der aktuellen Reisebestimmungen und ihrer Zugehörigkeit zur Risikogruppe mit 95 Jahren, haben sich die Festspiele entschlossen, ein Kamerateam nach London in ihre Wohnung zu schicken und die Rede aufzuzeichnen.
Musik als Lebenselixier, das sei der Grund, warum sie noch am Leben ist. Anita Lasker-Wallfisch ließ die Zuhörer Teil haben an ihren Überlegungen, warum ausgerechnet sie bei den Festspielen sprechen muss. "Zwei Dinge sind es: Die Festspiele werden 100 und ich bin 95, das ist doch recht nah beieinander. Und die Musik, denn der verdanke ich, dass ich hier bin", so Lasker-Wallfisch.
Genau genommen ist es das Cello, ihr Instrument, das sie als eine von drei Schwestern schon früh lernte. "Wir waren ein Schwestern-Trio und dazu gehörte, dass wir immer irgendwo Kammermusik machten", erzählte die Cellistin. Dass sie Jüdin sei, habe sie erst mit acht Jahren erfahren, als ihr in der Schule beim Tafelwischen mit den Worten "Gib dem Juden nicht den Schwamm" das Wischwerkzeug abgenommen wurde. Auf ihre Nachfrage kann ihr der Vater keine richtige Antwort geben, nur eines weiß sie jetzt: Es ist ganz einfach gefährlich Jude zu sein.
Während der Kriegsjahre widerfährt ihr mit das Schlimmste, was ein Mensch ertragen kann. Die Familie wird enteignet und die Eltern schließlich deportiert. Davor hätte die Familie aber noch alles unternommen, um wenigstens ein bisschen Musik machen zu können. Zum Schluss kann sie das nur noch im Kopf. Wenn Lasker-Wallfisch von dieser schrecklichen Zeit spricht, dann tut sie es sehr ruhig und sachlich. Das war nicht immer so. Lange hat sie ihre Leidensgeschichte vor ihren Kindern und Enkeln verheimlicht, um sie nicht mit den Schreckgespenstern der Vergangenheit zu belasten. Nach 40 Jahren entschied sie sich jedoch dazu, ihre Erinnerungen in einem Buch mit der ganzen Welt zu teilen.
Die Überlebende des Mädchenorchesters von Auschwitz wird sie in der Presse oft genannt. Sie selber nennt es lieber Kapelle. "So unglaublich es ist, in Auschwitz gab es tatsächlich Musik, wenn man das so nennen kann. Die Kapelle bestand aus fünf Menschen, die ihr Instrument ansatzweise beherrschten, der Rest hatte nur zum eigenen Vergnügen musiziert. Es gab Mandolinen, Blockflöten und Geigen, ja und dann mit mir eben auch ein Cello", beschrieb Lasker-Wallfisch die Kapelle weiter.
Den bunten Haufen Musiker, der die Ein- und Ausmärsche der Häftlinge, aber auch Konzertsonntage begleitet, hält die Dirigentin Alma Rosé, eine Nichte Gustav Mahlers, zusammen. Ihr konnte die Musik nicht helfen zu überleben, aber Anita Lasker-Wallfisch konnte ihr zumindest ihren letzten Wunsch erfüllen. Jahre später nach der Befreiung fand sie Rosés Vater in London und konnte ihm vom Mädchenorchester und den guten Taten der Tochter berichten.
Auch nach der Befreiung hält Musik die Cellistin am Leben und gewinnt zunehmend an Bedeutung im Alltag. Zu ihrem 20. Geburtstag schenkt ihr ein Offizier ein Cello. Fortan spielt sie im DP-Camp Bergen Belsen, kann sogar wieder Unterricht nehmen und ist später an der Gründung des English Chamber Orchestras beteiligt. "Man kann Städte und auch Kunst zerstören, aber die Musik ist unantastbar", mit dieser Erkenntnis verabschiedete sich Anita Lasker-Wallfisch vom Bildschirm. Danach betrat die junge Cellistin Julia Hagen die Bühne und spielte Bachs Suite für Violoncello Nr. 1. Begleitet von den warmen Klängen des Cellos und Hagens munterer Spielweise, konnte das Publikum nun ganz ruhig über das Gehörte nachdenken und am Ende vielleicht ein bisschen besser verstehen, warum der Klang eines einzelnen Instrumentes imstande ist, ein Leben zu retten.