Grenzen ausloten, das liegt Patricia Kopatchinskaja bekannter Maßen sehr am Herzen. Dass das Thema Tod dem Publikum der Salzburger Festspiele aufs Gemüt schlagen könnte, blieb am Donnerstagabend eine leere Vermutung, denn die Moldawierin lud im Haus für Mozart zum feierlichen Totentanz mit Schubert und Ligeti.
Die Grundlage für Kopatchinskajas Abend könnte solider nicht sein, denn das Fundament für das Konzertgerüst bietet kein geringeres Werk als Schuberts Streichquartett "Der Tod und das Mädchen", für dessen Bearbeitung für Streichorchester sich die quirlige Violinistin nicht nur die Gunst der Presse, sondern 2018 auch einen Grammy für die beste Kammermusikdarbietung holte. In seiner Gänze ist das Programm allerdings mehr als nur Schubert. Das Streichquartett ist die Hauptzutat einer feierlich-melancholischen Sinfonie, die sich Kopatchinskaja unter der Zugabe von mittelalterlichen Totentänzen, Psalmen und Werken von Ligeti selbst gebacken hat.
Ganz neu erfunden hat sie die Zutatenliste freilich nicht. Eine ähnliche Werkzusammenstellung findet sich auch auf der Einspielung "Death and the Maiden", auf der Kopatchinskaja ihre preisgekrönte Bearbeitung mit dem Saint Paul Chamber Orchestra verewigt hat. Im Haus für Mozart teilt sie die Bühne mit der Camerata Salzburg und eröffnet unter der Leitung von Ingo Metzmacher mit Ligetis Konzert für Violine und Orchester. Das Werk ist weniger ein Totentanz als eine Spurensuche durch die Musikgeschichte, auf der Ligeti mit Hilfe der Violine die Charakteristiken von mittelalterlicher bis hin zu zeitgenössischer Musik erforschte, weswegen dem Werk nicht nur aufgrund seiner Positionierungen im Programm, sondern auch wegen seinem Ausblick gebenden Inhalten die Rolle der Ouvertüre zu Teil wird.
Die Begeisterung des Publikums gilt ganz der Leistung von Solistin, Orchester und Dirigent. Verwirrung herrscht bezüglich der Frage, ob man bei diesem Zwischenapplaus auch schon die Maske (wie anfangs per Durchsage erbeten beim Schlussapplaus) aufsetzen muss. Immerhin bei einem Teil des Publikums führt dies dazu, dass es den Mund-Nasen-Schutz während der zweiten Hälfte des Konzertes komplett aufbehält.
Nach einem kurzen Umbau eröffnen tanzende Schlagwerker zusammen mit Patricia Kopatchinskaja, die für ihren sehr körperlichen Umgang mit der Musik bekannt ist, den zweiten Konzertteil mit dem "Toden Tanz" von August Nörminger. Die heitere und festliche Stimmung des Tanzes ist ebenso Teil des Abends wie die melancholische und schwermütige, die die Violinistin vor allem in den von ihr bearbeiteten Sätzen Schuberts zur Gänze auslebt. Das Streichorchester der Camerata genießt diesen lustvollen Todesschmerz ebenfalls in vollen Streicherzügen und lässt sich komplett auf Kopatchinskajas Umgangsweise mit den Werken ein. Die wiederum übernimmt solistische Parts nicht nur mit ihrem Instrument, sondern auch mit ihrer Stimme. Schuberts Lied "Der Tod und das Mädchen" erzählt sie wie eine Gruselgeschichte mit verschiedenen Rollen. Auch wenn die Zeitsprünge zwischen Schubert, John Dowlands "Pavane" und zwei Werken György Kurtags groß sind, am Ende wirkt alles wie ein großes Ganzen, ein Fest zu Ehren der vielen Seiten und Klänge des Todes.
Von der Gewalt dieses sehr romantischen Arrangements ist maximal der Zuhörer überwältigt, Orchester und Solistin scheinen viel mehr Energie aus den breit angelegten und ausgespielten Sätzen zu ziehen. Nach knapp zwei Stunden entlädt sich diese in einem hellauf begeisterten Haus für Mozart und großem Schlussapplaus, der so schnell nicht tot zu kriegen ist.
www.salzburgerfestspiele.at
Larissa Schütz/APA